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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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Tyvek-Anzug, der mit dem Rücken zur Tür stand.
    »Ach du heilige Scheiße«, murmelte der Oberkommissar.
    Der Anblick, der sich den Kripobeamten bot, war gruselig. Am Küchentisch
saß, mit nach unten hängenden Armen und zurückliegendem Kopf, eine etwa 60-jährige
Frau. Ihr Oberkörper wies zwei Einschusslöcher auf, der Kopf eines. Das ehemals
weiße, knielange Nachthemd, das sie trug, glänzte auf der Vorderseite dunkelrot.
Ihr Haar hing wirr zu allen Seiten herunter, und es war offensichtlich, dass der
letzte Färbetermin schon eine Weile zurücklag. Die ersten zwei Zentimeter ab der
Kopfhaut waren hellgrau, danach ging die Farbe in ein schmutziges Braun über. Zu
ihren Füßen hatte sich eine große Lache aus Blut und Urin gebildet. Trotz der tödlichen
Verletzungen und der Schmerzen, die sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens
durchlitten haben dürfte, wirkte ihr Gesicht weder verzerrt noch angestrengt. Eher
war ihrem Ausdruck etwas Gütiges, Zufriedenes zu entnehmen. Vor ihr auf dem Tisch
stand eine halb gefüllte Teetasse, an die Lenz den Handrücken hielt. Sie war so
eiskalt wie die ganze Küche.
    Der Mann lag auf der anderen Seite des Tisches auf dem Boden, auch
um ihn hatte sich eine große, rote Lache gebildet. Seine Hände waren vor dem Bauch
mit einem stabilen grauen Kabelbinder gefesselt, die Haut darum war wundgescheuert.
Vermutlich hatte er versucht, das Kunststoffband zu zerreißen; ein Unterfangen,
an dem schon jüngere und wesentlich kräftigere Männer gescheitert waren. Seine Beine
waren gekreuzt, in etwa einem Meter Entfernung unter dem Tisch lagen zwei braun
karierte Hausschlappen. Lenz beugte sich zu der Leiche hinunter und kam gleich wieder
hoch.
    »Hat jemand mal eine Taschenlampe für mich?«, erkundigte er sich.
    Martin Hansmann, Kostkamps Mitarbeiter, der mit einer Pinzette in der
Hand dastand und gerade etwas in einen kleinen Plastikbeutel schob, wies mit dem
Kopf auf einen Aluminiumkoffer neben der Küchentür. Hain reichte seinem Chef die
kleine LED-Lampe.
    »Auch zwei in die Brust und einen in den Kopf«, stellte der Hauptkommissar
fest.
    »Das hätte ich dir auch sagen können«, murmelte Kostkamp und hielt
eine Patronenhülse hoch. »Ich könnte dir weiterhin sagen, dass ich nicht glaube,
dass hier ein Anfänger am Werk gewesen ist. Irgendwie sieht das alles nach extremer
militärischer Präzision aus, wenn du mich fragst.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ganz einfach. Ein Profikiller hätte seine Hülsen vermutlich eingesammelt
und mitgenommen. Außerdem ballern die wenigsten von denen heute noch mit Kaliber
7.65 Parabellum in der Gegend herum.«
    »Das stimmt wohl. Hast du dir übrigens schon die Eingangstür angesehen?«
    Kostkamp nickte. »Ja, hab ich, gleich, als wir angekommen sind. Keine
Spuren, keine Anzeichen von irgendeiner Gewalt, nichts. Wenn ich mich nicht sehr
irre, und das könnte ich dir frühestens morgen Nachmittag genau sagen, haben sie
dem oder den Tätern die Tür freiwillig geöffnet.«
    »Oder der oder die hatten einen Schlüssel.«
    »Ja«, murmelte Kostkamp, »oder das.«
    Lenz bückte sich erneut und sah dem Toten ins Gesicht. Dort konnte
er deutlich die Anspannung und Erregung des Mannes erkennen, in der er sich vor
seinem Tod wohl befunden hatte. Lenz schwenkte die Lampe und leuchtete den Körper
ab, danach die Arme und die Beine. An den Händen angekommen stockte er.
    »Was hat der da in der rechten Hand?«, fragte er in die Runde. Die
drei anderen Männer im Raum stellten sich hinter ihm auf und betrachteten die rechte
Hand des Toten, wo ein Teil einer Holzkette zu sehen war.
    »Ein Tasbih.«
    Der Hauptkommissar drehte sich um und sah Kostkamp, der ihm geantwortet
hatte, beeindruckt an. »Und was ist das?«
    »Eine Gebetskette. Die benutzt man, um Dhikr auszuführen. Oder sie
hilft irgendwie dabei, so genau weiß ich das auch nicht.«
    »Wobei genau hilft das Ding?«, fragte Hain verwirrt.
    »Beim Gebet, um es mal ganz profan auszudrücken. Hast du noch nie beobachtet,
wie jemand so eine Kette durch die Hand hat kreisen lassen?«
    »Offen gestanden, nein. Aber gesehen habe ich solche Ketten schon.
Manchmal haben die türkischen Jungs die Dinger an den Rückspiegeln ihrer Autos hängen.«
    »Gut erkannt, junger Freund. Dort baumeln solche Ketten tatsächlich
ab und an herum. Was sie an der Stelle allerdings genau bewirken sollen, kann ich
dir auch nicht erklären.«
    »Wobei wir feststellen müssen«, bemerkte Hain ohne übertriebenes

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