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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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der Witterung. Immer wieder
hatte es leicht geschneit, und er wusste, dass die Kasseler Berge im Winter ein
heißes Pflaster für schwere LKWs waren, doch im Verkehrsfunk hatten sie bis jetzt
nichts Dramatisches gemeldet. Nur den üblichen Berufsverkehr um Frankfurt, aber
bis er dort ankommen würde, sollte das längst gegessen sein. Seine drückende Blase
hatte er eigentlich schon in Göttingen entleeren wollen, sich dann jedoch anders
entschieden, weil es auf der Straße so gut lief. Immer schön an der Grenze der Legalität,
was so eben aus dem eingebremsten und abgeriegelten Motor herauszuholen war; zumal
er seit Hamburg nur zur Hälfte beladen war.
    Jetzt drückte die Blase allerdings mächtig. Rasthof Kassel 5 Kilometer,
las er auf dem blauen Hinweisschild kurz vor der Ausfahrt Kassel-Nord.
    Nein, nicht der Rasthof Kassel, dachte er. Auf dem Weg nach Norden
gerne, aber nicht Richtung Süden. Nie auf dem Weg nach Süden, aus einem ganz einfachen,
praktischen Grund übrigens. Jeder LKW-Fahrer versucht, mit möglichst viel Schwung
in eine Steigung hineinzufahren. Die Steigungsstrecke, die sich dem Rasthof Kassel
in südlicher Fahrtrichtung anschließt, ist kein großes Problem, weil man mit Höchstgeschwindigkeit
hineinfahren kann und durch den Schwung fast immer mit 60 oder 70 Stundenkilometern
das obere Ende erreicht. Nicht jedoch, wenn man auf dem Rasthof angehalten hat und
sich danach mit geringer Geschwindigkeit und in den unteren Gängen die Steigung
hinaufkämpfen muss, was im Extremfall, zusätzlich zu dem Aufenthalt auf dem Rasthof,
vier oder fünf Minuten extra Zeitverlust bedeutete.
    Er würde den Rasthof Hasselberg anfahren, etwa 40 Kilometer weiter
südlich. So lange konnte er es noch aushalten, da hatte er schon ganz andere Dinge
erlebt.
    Keil trat das Gaspedal voll durch, um ja auch mit dem größtmöglichen
Schwung in die Steigung hinter der Raststätte einzufahren und hoffte dabei, dass
nicht irgendeiner dieser lahmen Bulgaren oder Rumänen mit ihrem alten Fuhrpark im
Weg stehen würde. Durch einen kurzen Blick nach rechts überzeugte er sich, dass
in der Einfahrt zur Raststätte nicht doch einer der Radarwagen stand, wie es öfter
vorkam, und nahm danach mit einem Gefühl großer Zufriedenheit zur Kenntnis, dass
auf dem Rasthof ohnehin kein Platz mehr für seinen LKW gewesen wäre.
    Wie immer eigentlich, mehr fiel ihm dazu nicht ein.
    Als er den Kopf hob und nach oben, zur Stereoanlage, griff, um die
Musik noch ein klein wenig lauter zu machen, wunderte er sich über den Polizeiwagen,
der mit Blaulicht über die Brücke jagte, scharf bremste, und sich quer zur Fahrbahn
stellte. Sieht ja aus, als würden die da oben einen Actionfilm drehen, dachte er
grinsend und regelte den Ton ganz auf null. Nun konnte er die Sirenen von mehreren
Polizeifahrzeugen hören. Was er dann allerdings zu sehen bekam, ließ ihm das Blut
in den Adern gefrieren und sorgte dafür, dass er bis zum völlig unerwarteten und
ebenso abrupten Ende seines Lebens kein einziges Mal mehr Luft holen würde.
    Der Kombi der Polizei, dessen Front er nurmehr erahnen konnte, wurde
wie von Geisterhand nach hinten verschoben, und direkt im Anschluss nahm er wahr,
dass ein silberfarbener Kleinwagen über den Polizeiwagen aufstieg und sich überschlagend
auf ihn zubewegte.
    Himmel, dachte er, wenn das eine Filmaufnahme ist, dann geht hier aber
ganz schön was schief. In dem Auto, dessen Auspuff sich in der Luft löste und in
hohem Bogen davonflog, dessen Kühler seinen Inhalt in einer fast künstlerisch anmutenden
Kreisbewegung in die Luft schleuderte, und der nun krachend auf dem Brückengeländer
aufschlug, erkannte Wolfgang Keil einen Menschen. Der Wagen blieb für einen ganz
kurzen Moment in einer stabilen Position, kippte dann jedoch zur Seite, stoppte
wieder kurz ab, sackte weiter durch, und in diesem Augenblick wurde dem Fernfahrer
klar, dass sich der Weg seines Scania-Trucks hier unten auf der Autobahn und der
Weg des Fahrzeugs dort oben auf der Brücke kreuzen würden. Er nahm den Fuß vom Gas,
riss das Lenkrad nach links und trat mit aller Kraft auf die Bremse, schob zur Unterstützung
den linken Fuß noch mit auf das große Pedal, doch auch damit konnte er den Aufprall
nicht verhindern.
    Einer der Gutachter, die hinterher den Unfallhergang rekonstruierten,
sprach von einem höchst unglücklichen Aufeinandertreffen mehrerer Umstände. Wäre
der Laster voll beladen gewesen, so der Sachverständige, wäre dem Fahrer vermutlich
nicht

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