Rechtsdruck
Kripobeamten drehten sich um und sahen in das volle
Gesicht von Jürgen »Lemmi« Lehmann, einem Kollegen vom Kriminaldauerdienst des Polizeipräsidiums
Kassel.
»Was macht ihr denn hier? Hat euch jemand gesteckt, dass wir in eurem
Revier wildern?«
»Grüß dich, Lemmi«, erwiderte Hain ebenso erstaunt. »Wie meinst du
das?«
»Wisst ihr noch gar nichts von dem Toten hier im Krankenhaus?«
»Dem Türkenjungen?«
»Welchem Türkenjungen?«
»Na, dem von der Autobahnbrücke.«
»Jungs!«, bremste Lenz das fruchtlose Ping-Pong-Spiel seiner beiden
Kollegen aus. »So kommen wir nicht weiter. Von welchem Toten sprichst du, Lemmi?«
»Diesem Neonazi aus dem Schwalm-Eder-Kreis.« Er warf einen Blick in
seine Unterlagen. »Gerold Schmitt. Wurde nach einer Schlägerei draußen auf dem Land
gestern hier im Klinikum operiert und lag heute Morgen mit einer Post-Op-Embolie
tot in seinem Bett.«
»So was kommt in den besten Familien vor«, entgegnete Hain ungerührt.
»Und was hat euch auf den Plan gerufen?«
»Ein anonymer Anruf, der vor einer knappen Stunde im Präsidium eingegangen
ist. Der Anrufer hat behauptet, Gerold Schmitt sei umgebracht worden. ›Das war Mord‹,
waren seine genauen Worte.«
»Sachen gibt’s«, meinte Hain, noch immer ungerührt.
»Und Irre gibt’s auch jede Menge«, führte Lehmann seinen Gedanken fort.
»Die Ärzte hier schwören Stein und Bein, dass er an einer stinknormalen Embolie
verschieden ist, wie sie nun mal im Anschluss an eine Operation vorkommen kann.
Sollte nicht, passiert aber leider manchmal.«
»Was macht ihr mit ihm?«
»Es hat mir zwar mächtig gestunken, genau wie den Ärzten auch, aber
wir haben ihn in die Rechtsmedizin bringen lassen. Morgen früh wird er obduziert,
und ich würde glatt die Hälfte meiner 40 überflüssigen Kilos verwetten, dass der
Typ am Telefon Scheiße gelabert hat.«
»Warum sollte einer so was machen, Lemmi?«
Lehmann klappte die Kladde in seiner Hand auf. »Gerold Schmitt war
einer von denen, die maßgeblich an der Sache mit dem Mädchen und dem Spaten vom
Neuenhainer See beteiligt waren. Ihr erinnert euch? Er hat noch Bewährung offen
gehabt deswegen.«
Lenz und Hain nickten.
»Vielleicht hat sich ja jemand gedacht, dass es eine gute Idee wäre,
so einen Typen mit ein paar zusätzlichen Körperöffnungen in die ewigen Jagdgründe
gehen zu lassen, was weiß ich?«
»Wir leben wirklich in einer kranken Welt«, bemerkte Lenz und wandte
sich ab.
»Falls sich wider Erwarten herausstellen sollte«, rief Lehmann ihm
hinterher, »dass an der Sache tatsächlich etwas faul ist, liegt der Ball allerdings
sofort in eurem Garten. Klar?«
»Logo, Lemmi«, raunzte Hain, verabschiedete sich und folgte seinem
Chef.
24
Justus Gebauer stoppte die DVD-Wiedergabe, fror das Bild, das er sich
zuletzt angesehen hatte, ein und sah fasziniert dem Mann ins Gesicht, dessen Werdegang
er auswendig kannte, und den er seit geraumer Zeit als ein politisches Vorbild betrachtete.
Allerdings, das hatte er sich das eine oder andere Mal eingestanden, war Vorbild
nicht der passende Ausdruck, weil Geert Wilders, der holländische Rechtspopulist,
dessen Konterfei mit den gewellten, etwas zu langen, blonden Haaren er im Schlaf
hätte zeichnen können, um einige Jahre jünger war als er selbst. Nein, Geert Wilders
war ein Vorbild für ihn, wenn es darum ging, zu den Eigenschaften der nationalen
Identität zu stehen. Wenn es darum ging, den Islam und alles, was damit in Verbindung
stand, als das zu brandmarken, was es in Wirklichkeit war, nämlich ein Vehikel zur
Erringung der Herrschaft einer Religion über die freie Welt.
Schon seit vielen Jahren hatte Gebauer seine Thesen über den radikalen
Islamismus mit sich herumgetragen, jedoch war ihm immer klar gewesen, dass er in
seiner Partei dafür keine offenen Befürworter finden würde. Sicher, im kleinen Kreis
hatten sogar der Ministerpräsident und andere aus dem Führungszirkel schon davon
gesprochen, dass man viele dieser religiösen Sozialschmarotzer am besten sofort
dahin zurückschicken müsste, woher sie gekommen waren, doch in der Öffentlichkeit
wären solche Forderungen dem politischen Selbstmord gleichgekommen. Also hatte der
ehemalige Landtagsabgeordnete Justus Gebauer gute Miene zum bösen Spiel gemacht
und sich immer gerade so weit aus dem Fenster gelehnt, wie es ohne Imageverlust
möglich war. Natürlich, und das wusste auch jeder, stand er ideologisch am äußersten
rechten Rand der Parteilinie, aber
Weitere Kostenlose Bücher