Rechtsdruck
gerade Männer wie er waren es doch, die an eben
diesem Rand die notwendigen Stimmen holten, die für die Einbindung derjenigen Menschen
verantwortlich waren, die sonst bewusst rechtsextremistische Gruppierungen gewählt
hätten. Man hatte ihn gebraucht, und als er einen Fehler gemacht hatte, keinen großen
Fehler nach seiner Meinung übrigens, war er zur heißen Kartoffel geworden.
Er sah auf die Uhr. Noch eine knappe Viertelstunde. In einer knappen
Viertelstunde würde ihm in einem extra angemieteten Saal eines großen Kasseler Hotels
die Creme der Medienvertreter des Landes gegenüber sitzen oder stehen und sich anhören,
was er zu der Situation in Kassel und dem Rest der Republik zu sagen hatte.
Geert Wilders, der Holländer. Ein guter Mann. Es gab viele neue, gute
Männer, denen er sich im Denken verbunden fühlte. In Italien gab es in der Lega
Nord Männer, die er unbedingt treffen musste, ebenso in Belgien und Frankreich.
Politische Vordenker, die zu ihren Idealen standen und bereit waren, sich dafür
in der Öffentlichkeit diffamieren und beleidigen zu lassen. Aber so gut diese Männer
auch waren, und so sehr er sie bewunderte, es gab nur einen, den er wirklich verehrte.
Den Besten. Er hätte seinen linken Arm dafür gegeben, diesen Mann zu dessen Lebzeiten
kennengelernt zu haben, doch war das aus vielerlei Gründen bis zu dessen tragischem
Tod nicht möglich gewesen. Dieser Mann hatte es verstanden, seinem ganzen Land einen
völlig neuen, lange nicht mehr gekannten Nationalstolz zu vermitteln, und an dem
Tag, an dem bekannt wurde, dass er einem Autounfall zum Opfer gefallen war, hatte
Justus Gebauer zum erstem Mal seit sehr vielen Jahren wieder geweint. Er hatte bitterlich
um Jörg Haider, sein großes Idol, geweint.
»Du musst raus«, steckte Frank Weiler den Kopf durch die Tür, riss
ihn damit aus seinen Gedanken und deutete dabei auf die Uhr an der Wand.
»Ja, es wird Zeit«, bestätigte Gebauer und stand auf. Vor einem Spiegel
rückte er sich die Krawatte zurecht, machte noch ein paar Grimassen, um seine Gesichtsmuskeln
zu lockern, und schloss danach die oberen beiden Knöpfe seines modern geschnittenen,
aber eleganten Einreihers.
»Herzlich willkommen, meine Damen und Herren«, begrüßte der Mann, der
im Alleingang neuer Oberbürgermeister von Kassel werden wollte, die etwa 40 Medienvertreter,
die seiner Einladung zu einer Pressekonferenz gefolgt waren, und drückte das kleine
Mikrofon vor seinem Gesicht ein wenig nach unten.
»Ich freue mich, dass Sie gekommen sind«, fuhr er fort. »Lassen Sie
mich zunächst kurz erklären, warum ich Sie zu dieser spontanen Pressekonferenz eingeladen
habe. Im Anschluss stehe ich selbstverständlich für Ihre Fragen zur Verfügung.«
Er griff zu einer Mineralwasserflasche, goss eines der Gläser voll,
die vor ihm auf dem Tisch standen und trank einen Schluck, bevor er weitersprach.
»Sicher hat es sich schon zu Ihnen herumgesprochen, dass ich meiner Partei, meiner
bisherigen politischen Heimat also, den Rücken gekehrt und mich entschlossen habe,
als unabhängiger Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Kassel meinen
Hut in den Ring zu werfen.«
Er blickte die Journalisten an, als wolle er erste Reaktionen aufnehmen,
doch die Gesichter der Anwesenden spiegelten eher Langeweile denn Interesse wider.
»Sie können mir glauben, dass mir der Schritt, alle politischen Brücken
hinter mir abzubrechen, nicht leicht gefallen ist. Dass dem ein langer, teilweise
an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit gehender Entscheidungsfindungsprozess vorausgegangen
ist, muss ich vermutlich ebenso wenig explizit erwähnen. Und ich bin mir außerdem
im Klaren darüber, dass, wenn man diesen Schritt erst einmal gegangen ist, dabei
viele über die Jahre gewachsene Freundschaften auf der Strecke bleiben werden. Allerdings
hege ich die Hoffnung, dass, sollte sich erst herumgesprochen haben, für welche
Ziele und Werte ich in der Zukunft eintreten werde, einige dieser alten Freunde
wieder einen Schritt näher an mich heranrücken werden.«
Ein junger Reporter mit einem Notizblock auf dem Schoß hob den Arm,
wartete jedoch mit seiner Frage nicht, bis ihn irgendjemand aufforderte, sie zu
stellen.
»Dass Sie kandidieren, ist seit Ihrem Interview von gestern nichts
Neues mehr, Herr Gebauer, und ich bin mir relativ sicher, dass Sie uns nicht hierher
eingeladen haben, um diese Nachricht ein weiteres Mal aufzuwärmen. Mich würde viel
mehr interessieren, was sich
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