Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
höchst unbefriedigende Gabe. Allein die Frau kann den ersehnten Geschlechtsakt wirklich vollziehen (so wie nur der heldische Krieger die erforderliche waghalsige Tat zu Ende bringen kann); und es gelingt ihr nur mit einem virilen Partner, nicht mit einem kastrierten Geschichtenerzähler. [39]
Nicht anders als ihr Priester verübelt Flaubert Salammbô ihre Sexualität, doch befriedigt es ihn, sie vorzuzeigen. Von den Prostituierten in »Mémoires« und »Novembre« bis hin zur wilden Herodias formt er all seine sinnlichen Frauengestalten nach demselben Muster wie Schahabarim die karthagische Prinzessin. Doch die wirkliche Aktion gehört den Kreaturen, deren Schöpfern nur die frustrierte Ersatzbefriedigung des Voyeurs bleibt. [40] Daher erliegt Schahabarimdem Ressentiment in vollem Umfang erst, nachdem Salammbô seine Befehle ausgeführt hat. Die verdrehte Logik, mit der wir diesen letzten Zustand – organische Verlogenheit – in Verbindung bringen, kommt in folgender interessanten Passage zum Vorschein:
Aus einem unbegreiflichen Widerspruch heraus verzieh er dem jungen Mädchen nicht, daß es seine Befehle befolgt hatte. Schahabarim hatte alles Geschehene erraten, und dieser quälende Gedanke ließ seine ohnmächtige Eifersucht immer mehr aufflammen. (S. 278)
Aber ist der »unbegreifliche Widerspruch«, von dem der Autor hier spricht, in einem weiteren Sinn nicht sein eigener? Sind die Anwesenheit des lachenden Bettlers an Emmas Totenbett und die Giskos bei Salammbôs Begegnung mit Mâtho (beides unglaubliche Zufälle) nicht deutliche Hinweise auf Flauberts ressentierende Rache gegen seine nach seinen eigenen literarischen Fantasien geformten Heroinen? »Aber Salammbô empfand jetzt keine Furcht mehr vor ihm«, schlussfolgert der Priester nicht ganz zu Unrecht; nur Flauberts unnötige Grausamkeit gegenüber der Prinzessin am Ende des Romans ist Schahabarims Erlösung.
Auch für Mâtho bleibt nur wenig Glück übrig. Selbst seine sexuelle Vereinigung mit Salammbô, deren Schilderung absichtlich an den Tanz der Schlange mit der Prinzessin erinnert, steuert auf seine letztliche Vernichtung zu. Er gibt den Schleier der Barbaren und die fortgesetzte Sinnenfreude mit Salammbô auf. Wie Flauberts Marie den Erzähler von »Mémoires« verlässt, flieht Salammbô vor ihrem Liebhaber, der als Sklave des Frauenbilds zurückbleibt. Mâtho und Schahabarim, die derselbe Wunsch symbolhaft verbindet, begegnen sich bis zum Ende des Romans nur noch einmal. Inmitten des epischen Gemetzels in Kapitel 13 nimmt der Priester seinen virilen Rivalen wahr und stößt sofort Schmähungen aus, die Mâtho zunächst nicht hören will. Als der Krieger schließlich in Rage gerät, wirft er seine Axt nach dem wortreichen Feind. Doch wie immer schützt Flaubert den Repräsentanten seiner Kunst, und Schahabarim überlebt den Angriff und praktisch alle anderen heroischen Gestalten des Buchs. Er steht unter dem Schutz eines ihm wohlgesinnten Schöpfers, der mit ihm zusammen für ihre beidseitige Kunst Rache nimmt. [41] So ergibt es sich, dass Salammbô Narr’Havas und nicht Mâtho zur Heirat übergeben wird, obwohl Ersterer Karthago und sein eigenes Lager verraten hat. Im letzten Kapitel wird Mâtho den brutalen Horden Karthagos ausgesetzt, den degenerierten Resten einer großen Kultur. Die Priester, nicht das Volk, geben Mâtho den Gnadenstoß. Es ist bezeichnend, dass Schahabarim in der Schlussszene eigenhändig Mâthos noch pochendes Herz ergreift und der Leben spendenden Sonne als symbolisches Opfer darbietet.
Mâtho ist nie ein Held nach Art der Griechen; Spendius’ Überlegenheit macht dies unmöglich. Doch als Held in jeder anderen Weise ist er Schahabarim, dem Künstler und Priester, ein Gräuel. Und während Flaubert dem Priester die Vernichtung des Kriegers gestattet, behält er sich die Auslöschung seiner Heroine vor. Salammbô, die entsetzt die Vernichtung ihres einzigen Liebhabers (und damit der in ihm so wie in der Schlange verkörperten virilen und religiösen Qualitäten) durch den Pöbel mit ansehen muss, fällt in Ohnmacht und stirbt ganz überraschend.
Wie der Priester, setzt der Autor Sprache ein, um zu attackieren, was ihn fasziniert und abstößt. Flauberts Protagonistinnen verschwinden oder sterben immer, ehe seine Romane enden. Ob es nur Zufall ist, dass bei Flaubert die meisten zentralen männlichen Gestalten von Homais bis Fréderic Moreau und Bouvard und Pécuchet das Ende ihrer Geschichten überleben? Wir können
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