Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
aktiv und (mit Ausnahme des rückbezüglichen »rief sich ins Gedächtnis zurück« [» se rappela «]) transitiv. Doch Frédérics Seele, ganz wie sein Milieu, empfängt und reagiert; sie schafft nichts und bewegt sich nicht vorwärts. Die Verben in der entsprechenden Passage bringen diese Passivität zum Ausdruck (der Schauder, der ihn packte [» il fut saisi «], die Fähigkeit, die über ihn gekommen war [» lui était venue «]); die Welt wirkt auf Frédéric ein, der praktisch nur als Objekt einer scheinbar distanzierten Satire übrig bleibt.
Das glückliche Fehlen realisierbarer Ambitionen führt Frédéric von einer Frau zur nächsten. Nie wird er die Extreme sehnlichenVerlangens erleiden, die Flaubert bei seinen Frauengestalten so faszinierten, denn immer wird er Rosanette haben, wenn Madame Arnoux zugeknöpft ist, Madame Dambreuse, wenn Rosanette im Zorn scheidet, und immer die unschuldige Louise oder die allgemein verfügbare Prostituierte, wenn alles andere schief geht. Seine Affären hinterlassen genau wie seine bunt gewürfelten politischen Verbindungen keine Narben, die nach Vergeltung rufen. Frédéric stellt, anders als die sorgsam erzogenen Frauen Emma und Salammbô, schlicht keine Anforderungen an den beliebigen Strom von Menschen und Ereignissen.
So lebt in Frédéric die Geschichte einer Zeit (die, wie Sainte-Beuve zutreffend feststellt, so nicht in Salammbô gelebt haben könnte), weil die Tabula rasa in seinem Kopf von keinem bestimmten erheblichen Faktor dominiert wird. Seine kurzen Phasen der Verbitterung (zum Beispiel, als er, »dessen Selbstgefühl krank war« (S. 329), sich sagt, für »all das Bittere« Rache zu nehmen, das ihm die abweisende Madame Arnoux angetan hatte, indem er an ihrer Stelle Louise schlecht behandelt) werden nie zu einer Gemütsverfassung, weil es immer wieder Neues gibt, das seine anspruchslose Neugier weckt, und nie genug Zeit für tiefe Gefühle gleich welcher Art. Dieses Fehlen von Nachdenklichkeit hat seine Vorteile, insbesondere aus der Perspektive einer Person, deren Denken – wie noch gezeigt werden soll – durch eine juristische Ausbildung belastet ist. Aber Spontaneität steht einer Gestalt wie Frédéric nicht gut, da er weder den Charme noch das Talent hat, aus ihr Vorteil zu ziehen.
Anhand der kindischen Aufs und Abs in Frédérics sentimentalem und politischem Leben schafft Flaubert es, einen Protagonisten zu schildern, den zu ressentieren unmöglich ist. Doch überlebt Flauberts Virulenz wie ein weiter schwelendes Krebsgeschwür nach einer fast erfolgreichen Operation und dringt schließlich auch in diesen objektivsten seiner Texte ein. Flauberts scheinbarer Entschluss wurde schon erwähnt, sich durch Frédéric von seinen unerreichbaren Wünschen zu lösen, in heroischen Zeiten zu leben und eine Frau zu sein. Doch stellt sich heraus, dass die Wahl Frédérics als Protagonist, so sehr sie das Ressentiment gegenüber den Romanfiguren auslöscht, das Flaubert an den Tag legte, wenn es sich um Frauen oder Helden handelte, wie durch ein Aufgreifen von bislang noch immanenten Tendenzen den noch quälenderen Selbsthass verschärft, der sich aus der Behandlung eines praktischautobiografischen Protagonisten ergibt. Die Gestalten der Frauen und antiken Helden, die Träger der besten Bestrebungen Flauberts sind, konnten beiläufig vernichtet werden. Übrig bleibt Frédéric-Flaubert, gleichermaßen ungeeignet für Liebe und Revolution, nur fähig, die Zeichen der Zeit und der Geschehnisse zu empfangen und nachträglich zu beschreiben.
Die kranken Zellen der alten Ressentiments kommen zum Vorschein, wenn wir analysieren, wie Flaubert Frédérics Charakter konstruiert. Statt eine Frauengestalt zu schaffen, um sie zu verachten und zu vernichten, beginnt Flaubert damit, Frédéric mit einer gemäßigten, aber durchgängigen Misogynie auszustatten. Vielleicht ist es diese Eigenschaft, die für sich allein schon Frédérics endloses Hinauszögern des Auslebens seiner Emotionen für die Frauen erklärt, zu denen er sich hingezogen fühlt. Mit Sicherheit fließt Flauberts Gehässigkeit in Frédérics Gedanken über Madame Arnoux ein; in der Vorstellung von Szenarien und Zurückweisungen, die es nicht gibt, schwankt er über den größten Teil des Buchs zwischen Apathie und Raserei. Als Madame Arnoux, die mit ihrem kranken Kind beschäftigt ist, auf Frédérics Briefe nicht antwortet, bricht es aus ihm heraus:
Diese Gemeinheit war doch zu stark, wütend empörte
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