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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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verhungern ließ.
    Die Hand im Süden.
    Jacob beugte sich über den Toten. Die Hand war starr und kalt, aber sie fügte sich an den Armstumpf, als setzte er eine finstere Puppe zusammen.
    Der Wind, der durch die Fenster des Turmes fuhr, war feucht und kalt wie Schnee und ließ die Laterne flackern, die Fuchs über den Sarg hielt.
    Jacob öffnete den Lederbeutel, der die Kette mit dem Herzen enthielt und schob das Leichenhemd zurück, bis es das goldgefasste Loch in der Brust des Toten enthüllte. Das schwarze Herz, das Ramees Enkelin um den weißen Hals getragen hatte. Er spürte nichts als eine sachte Wärme, als er das Juwel von der Kette löste. Fast als wäre seine Berührung willkommen.
    Das Herz im Osten.
    Es passte in das goldgesäumte Loch, als hätte in Guismunds Brust schon zu Lebzeiten ein Stein geschlagen. Wahrscheinlich war es so.
    Der Goyl hatte den Kopf in dem Täuschbeutel gelassen, in dem Jacob ihn mit sich getragen hatte.
    Der Kopf im Westen.
    Das Gesicht war so starr und leblos wie die Hand, als Jacob den Kopf aus dem Beutel zog, aber sobald er ihn an den Halsstumpf setzte, öffneten sich die vergoldeten Lippen.
    Das Röcheln, das dem klaffenden Mund entwich, klang wie der letzte Atemzug eines Sterbenden. Die rosige Haut des Leichnams färbte sich grau, und das Gesicht begann, zu zerfallen, als hätte jemand es aus goldenem Sand geformt. Der Hals, die Hände, der ganze Leichnam zerfiel. Selbst das Gewand rottete vor ihren Augen, bis der Sarg mit nichts als schmutzig grauem Staub gefüllt war, in den sich ein paar Spuren von Gold mischten.
    »Was zum Teufel …«
    Valiant starrte entgeistert darauf herab, aber Jacob atmete erleichtert auf. Der Zauber des Hexenschlächters wirkte noch. Und er hatte sich einen neuen Ort gesucht, wie ein Vogel, den sie aus dem Käfig gelassen hatten.
    Fuchs stand schon an einem der Fenster und blickte zu den Ruinen.
    Über der Toten Stadt schälte sich ein Schatten aus der Nacht. Er nahm nur langsam Gestalt an, denn das, was sich aus ihm formte, war riesig. Türme, Zinnen, Mauern. Zuerst waren sie durchsichtig wie schmutziges Glas, aber dann wurden sie zu Stein, fahl wie der Staub, der den Sarg füllte.
    Das Schloss, das wie eine steinerne Distel in die Nacht wuchs, war nicht erbaut worden, um durch Schönheit zu beeindrucken. Es sollte nur eines – das Fürchten lehren. An den zinnenbespickten Mauern erkannte man selbst aus der Ferne die Käfige, in denen Guismund Feinde und Freunde hatte verhungern lassen, und darunter sah Jacob das Eiserne Tor. Falls die Geschichten stimmten, die aus der Zeit des Hexenschlächters überliefert waren, erwachte es zu tödlichem Leben, sobald ein Feind Einlass verlangte. Ein Schatzjäger, der Guismunds Armbrust stehlen wollte, galt sicher nicht als Freund.
    Erst mal musst du es bis zu dem Tor schaffen, Jacob.
    Draußen häufte der Riesling weiter Steine auf den Leib des anderen. Je höher er sie schichtete, desto bedeutsamer machte das den Toten. Jeder Freund oder Verwandte, der das Grab eines Rieslings besuchte, legte einen weiteren Stein darauf, sodass die Grabmäler es manchmal auf die Größe eines kleinen Hügels brachten.
    Der Prinz war immer noch bewusstlos. Der Riesling hatte ihm übel mitgespielt, aber er würde es überleben. Jacob war nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war. Es war nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke, sich Louis auf einem Thron vorzustellen.
    »Sein Vater wird euch an seine Hunde verfüttern!«, zeterte Lelou mit schriller Stimme. »Er wird sich eure Herzen zum Frühstück servieren lassen …«
    »… und sich aus unserer Haut Cigaretten drehen. Ich weiß.« Jacob zog das Messer und beugte sich über Louis.
    Lelou beobachtete ihn mit so sprachlosem Entsetzen, als hätte er seine Zunge verschluckt.
    »Ja, es ist zu schade, dass er nicht mit uns kommen kann«, sagte Jacob, während er ein paar Strähnen von Louis’ blassblondem Haar abschnitt. »Ich bin sicher, das Eiserne Tor hätte ihn wesentlich wärmer willkommen geheißen als mich.«
    »Wozu soll das gut sein?«, fragte Valiant. »Willst du allen Mädchen eine Strähne verkaufen, die sein Bild anschmachten und davon träumen, Königin von Lothringen zu werden?«
    Jacob blieb dem Zwerg die Antwort schuldig. Er war nie dankbarer gewesen, dass Alma ihm Dinge beigebracht hatte, die Hexen eigentlich keinem Menschen verrieten. Einmal hatte sie ihm ein Haar ausgerissen und es sich um den mageren Finger gewickelt. »Das hier

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