Reckless - Lebendige Schatten
Wassermanns nicht ihm galt.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich will seinen prinzlichen Nacken brechen hören …«, flüsterte Eaumbre. »Oder ihm den Hals zudrücken, bis sein dummes Gesicht sich blau wie der Himmel färbt.«
Es gab Wassermänner, die Jahre damit verbrachten, einen Mann zu jagen, der sie beleidigt oder betrogen hatte. Eaumbre war sehr geduldig mit Louis gewesen. Aber Nerron war es egal, ob der Prinz noch lebte. Alles, was ihn interessierte, war, ob Reckless unter den Toten war. Allerdings war die Information es nicht wert, sich mit einem Riesling anzulegen.
Er schob das Fernrohr zurück in den Gürtel.
Eaumbre musterte die Ruinen und das Schloss, das sich wie eine steinerne Krone um den Berg legte. »Der Hexenschlächter besaß mehr Schätze als nur die Armbrust, oder?«
»Vermutlich.«
Eaumbre fuhr sich über die zerschundenen Arme. »Falls Louis dort ist, gehört er mir«, flüsterte er.
»Und falls nicht?«
Der Wassermann bleckte die Zähne. »… werde ich hoffentlich genug Gold finden, um mich zu trösten.«
59
DIE TOTE STADT
V erwitterte Fassaden. Zersprungene Säulen. Torbögen. Treppen, die ins Nichts führten. Man sah selbst dem Gerippe der Toten Stadt an, wie prächtig sie einmal gewesen war. Die Straße, der sie folgten, wand sich steil an den verfallenen Häusern vorbei. Die Stille zwischen ihnen war so schwarz wie die mondlose Nacht. Jacob hielt das erste Gesicht für Dekor, die Hinterlassenschaft eines sehr talentierten Steinmetzes. Aber sie starrten überall aus den fahlen Mauern wie Fossilien. Frauen, Männer, Kinder.
Die Geschichten waren wahr. Guismund hatte die ganze Stadt mit in den Tod genommen. Er wollte, dass die Welt mit seinem Tod stillstand! Dass sie mit ihm begann und endete! Kluger Käfer.
Der Hexenschlächter hatte sie in den Stein ihrer Häuser gebannt. Was hatte sie getötet? Sein letzter Atemzug? War er mit dem Fluch auf den Lippen gestorben? Jacob glaubte, ihre Stimmen in dem Wind zu hören, der durch die leeren Straßen strich. Er seufzte und stöhnte, wehte totes Laub vor sich her und löste verwitterte Steine aus den Mauern, die die Jahrhunderte wie Knochen gebleicht hatten. Schwärme von Irrlichtern sprenkelten sie mit Licht und ein paar Pestfinken pickten hektisch zwischen den zersprungenen Pflastersteinen. Sonst regte sich nichts in den verlassenen Straßen mit ihrem Saum aus toten Gesichtern.
Sie bahnten sich ihren Weg durch die Trümmer eines Turmes, als hinter den Überresten eines Denkmals ein Mann hervorstolperte. Jacob schlug ihm den Arm ab, bevor er Fuchs eine rostige Sense in den Rücken graben konnte. Seine Kleider waren mit Glasscherben und Metall bedeckt. Einer der Prediger. Sein Blick war so leer wie der der Toten in den Mauern. Sechs weitere warteten unter einem Triumphbogen, dessen verwitterter Marmor Guismunds Siege über Albion und Lothringen feierte. Sie kämpften so verbissen, als verteidigten sie eine lebende Stadt, aber zum Glück waren ihre Waffen alt, und sie waren nicht allzu gut genährt. Jacob tötete drei und Fuchs erschoss einen weiteren, bevor er Jacob gegen die verhexten Mauern stoßen konnte. Der Rest floh, aber einer von ihnen blieb nach ein paar Schritten stehen und schrie einen Fluch in dem Dialekt, den man in diesen Bergen sprach. Er hörte nicht auf, zu schreien, bis Fuchs ihm warnend vor die Füße schoss. Der Fluch war Aberglaube, geboren aus der hilflosen Angst vor wirklichem Zauber, aber das Geschrei lockte mehr von den zerlumpten Gestalten an. Sie tauchten überall zwischen den Ruinen auf. Manche standen nur da und starrten ihnen nach oder warfen Steine nach ihnen. Andere stolperten ihnen mit rostigen Forken oder Schaufeln in den Weg, die sie irgendeinem Bauern gestohlen hatten.
Sie mussten vier weitere töten, bevor sie sie in Ruhe ließen, aber Jacob war sicher, dass mehr vor dem Schloss auf sie warten würden. Guismunds moderne Ritter … Jacob fragte sich, ob der Zauber, der in den Ruinen nistete, ihnen eingab, sie zu bewachen, oder ob die Furcht vor der eigenen Sterblichkeit sie an diesen Ort des Todes brachte – und die Hoffnung, hier eine Tür zu finden, durch die man dem unausweichlichen Ende entkommen konnte.
Nicht so viel anders als die Hoffnung, die dich herbringt, Jacob.
Sie kamen dem Schloss nur langsam näher. Immer wieder versperrten Trümmer den Weg, eingestürzte Brücken … verfallene Treppen … Jacob kam es vor, als hätte er sich erneut in einem Labyrinth verfangen. Aber diesmal
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