Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
Vom Netzwerk:
einen entzündeten Zahn ziehen lassen. Es verlangte weniger Mut, gegen einen Menschenfresser zu kämpfen.
    »Und?« Chanute musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Hast du die Flasche gefunden?«
    »Ja.«
    »Na bitte! Ich hab dir gesagt, es wird kein Problem.« Chanute wischte die Feder an seiner Holzhand ab und starrte auf das Blatt Papier, das vor ihm lag. Er schrieb seine Memoiren, seit ihm ein betrunkener Kunde in den Kopf gesetzt hatte, dass er damit ein Vermögen verdienen konnte.
    »Ich hab sie gefunden, ja, …« Jacob trat ans Fenster. »… aber das Blut hat nicht gewirkt.«
    Chanute legte die Feder zur Seite. Er gab sich Mühe, nicht besorgt dreinzublicken, aber er war noch nie ein guter Schauspieler gewesen. »Verdammt«, murmelte er. »Aber was soll’s. Dir wird was anderes einfallen. Was ist mit dem Apfel? Der in dem verwunschenen Sultansgarten, du weißt schon.«
    Jacob hatte die Antwort bereits auf den Lippen, aber der Alte blickte so betroffen drein, dass er sie herunterschluckte. Womöglich würde Chanute selbst losreiten, um nach einer Medizin zu suchen, wenn er ihm die Wahrheit sagte. Chanute war alt geworden. Die Armprothese trug er immer seltener, weil sie ihm zunehmend Schmerzen bereitete, und sein Gehör war inzwischen so schlecht, dass er auf dem Marktplatz schon ein paarmal fast in eine Droschke hineingestolpert war. Nein. Jacob spürte seine schwieligen Hände immer noch auf der Haut von all der Prügel, die der Alte ihm verpasst hatte, aber alles, was er in dieser Welt erreicht hatte, verdankte er Albert Chanute und dem, was der alte Schatzjäger ihm beigebracht hatte. Er schuldete ihm eine Lüge.
    »Sicher«, sagte er. »Der Apfel. Wie konnte ich den vergessen?«
    Chanute verzog das hässliche Gesicht zu einem erleichterten Lächeln. »Na bitte. Du machst das schon. Und notfalls gibt es ja auch noch den Brunnen.«
    Jacob wandte ihm den Rücken zu, damit er ihm die Wahrheit nicht doch noch vom Gesicht ablas.
    »Verflucht! Ich wünschte, der Menschenfresser hätte mir den Kopf statt des Arms abgebissen.« Chanute presste die Hand erneut auf die schmerzende Wange. »Hast du noch Moorwurzeln?« Ihr Verzehr betäubte jeden Schmerz. Allerdings glaubte man danach tagelang, von Irrlichtern umschwirrt zu werden. Jacob zog die Blechdose aus dem Rucksack, die als seine Reiseapotheke diente: Moorwurzeln, Fieberkraut, eine Wundsalbe, die Alma ihm angerührt hatte, Jod, Aspirin und ein paar Antibiotika aus der anderen Welt. Er fischte eine der Wurzeln aus der Dose und hielt sie Chanute hin. Sie sahen aus wie getrocknete Raupen und schmeckten abscheulich.
    »Wo ist Fuchs? Ist sie hier?«
    Sie spürte schon lange, dass etwas nicht stimmte, aber solange er noch Hoffnung gehabt hatte, war es leicht gewesen, sich einzureden, dass sie die Wahrheit besser nicht erfuhr. Er konnte es nicht erwarten, sie zu sehen.
    Aber Chanute schüttelte den Kopf, während er sich die Wurzel in den schmerzverzerrten Mund schob. »Nein«, grunzte er. »Sie ist schon seit Wochen fort. Der Zwerg wollte dich anheuern, ihm eine Menschenschwanfeder zu besorgen, und weil du nicht hier warst, hat Fuchs angeboten, sie ihm zu beschaffen. Sieh mich nicht so an! Sie ist vorsichtiger als du und klüger als wir beide zusammen. Sie hat die Feder bekommen, aber der Schwan hat sie am Arm verletzt. Nicht weiter schlimm. Sie ist bei dem Zwerg, um es auszukurieren. Er hat sich von dem Gold, das ihm dein Baum beschert, irgendeine verfallene Burg gekauft. Fuchs hat dir die Adresse geschickt.«
    Er hob das Menschenfressergebiss an, das er als Briefbeschwerer benutzte, und hielt Jacob einen Umschlag hin. Das Wappen darauf war in Blattgold geprägt. Der Baum, mit dem Jacob für den Weg in die Goylfeste bezahlt hatte, hatte aus Evenaugh Valiant einen sehr reichen Zwerg gemacht.
    »Nimm ihr das hier mit, wenn du sie siehst.« Chanute schob ihm ein Päckchen hin, das in Seide eingeschlagen war. »Sag Fuchs, es kommt von Ludovik Rensman. Sein Vater hat die Anwaltspraxis drüben hinter der Kirche. Ludovik ist eine gute Partie. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm erzählt habe, dass sie fort ist.« Er verdrehte spöttisch die Augen. Die letzte Frau, mit der Chanute sich eingelassen hatte, war eine reiche Schwansteiner Witwe gewesen, aber ihr hatten die ausgestopften Wolfsköpfe nicht gefallen, die er in ihrem Wohnzimmer aufgehängt hatte.
    »Aahhh!« Chanute ließ sich erleichtert aufs Bett fallen. »Sie schmecken scheußlicher als

Weitere Kostenlose Bücher