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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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sie gelehrt hatte, das Wort zu verabscheuen.
    Er hob die Fäuste. Wie oft ihre Augen an diesen Händen gehangen hatten, voll Angst, dass die braune Haut sich weiß über den Knöcheln spannte. Manchmal sah sie ihn in ihren Träumen. Mit dem Maul eines Wolfs.
    Sie schob sich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Sie wollte vergessen, dass es ihn gab. Sich vorstellen, dass er eines Tages fortgegangen war wie Jacobs Vater, oder dass ihre Mutter nie wieder geheiratet hatte.
    »Ich komme zurück«, sagte sie zu ihr.
    Als Fuchs auf das Tor zuging, stand ihre Mutter am Fenster. Wie damals. Und genau wie damals versperrten sie ihr zu dritt den Weg, ihr Stiefvater und seine zwei Söhne. Er hatte sich den Stock zurückgeholt und sein Ältester hielt eine Mistforke in der Hand. Gustave und René. Gustave blickte noch stumpfer drein als früher. René war klüger, aber er tat, was Gustave ihm sagte. Er hatte den ersten Stein geworfen.
    Gestaltwandler. Niemand verstand besser als Fuchs, wie Jacobs Bruder sich gefühlt hatte, als ihm die Haut aus Jade gewachsen war, doch im Gegensatz zu ihm hatte sie das Fell immer freiwillig getragen.
    »Na los! Such dir einen Stein!«, fuhr sie René an. »Oder wartest du darauf, dass dein Bruder es dir sagt?«
    Er zog den Kopf ein und blickte nervös auf die Pistole an ihrem Gürtel.
    »Mach, dass du fortkommst!« Ihr Stiefvater kniff die kurzsichtigen Augen zusammen.
    Sie hatte keine Angst mehr vor ihm. Es war ein berauschendes Gefühl. »Wo ist Thierry?«, fragte sie. Einen Bruder hatte sie noch.
    Gustave starrte sie nur feindselig an. Sein Hemd war fleckig vom Fischblut.
    »Er ist in die Stadt«, sagte René.
    »Halt den Mund!«, fuhr sein Vater ihn an.
    Es war nicht leicht gewesen, die Stieftochter zu sein, aber sein Jüngster hatte es ebenso schwer gehabt. Thierry hatte Fuchs um das Fell beneidet, und sie war froh, dass er es auch geschafft hatte, fortzugehen.
    »Ihr wisst, was man über Gestaltwandler sagt.« Sie hob die Hand. »Es wächst jedem ein Fell, den sie berühren! Wer will zuerst?«
    Sie stieß ihrem Stiefvater die Hand so fest vor die Brust, dass er seine Haut tagelang nach rotem Fell absuchen würde. Gustave stolperte fluchend zurück, und Fuchs war aus dem Tor, bevor die drei ihren Mut wiederfinden konnten. Während sie auf ihr Pferd stieg, erinnerte sie sich daran, wie sie damals über die Wiesen gestolpert war, schluchzend und blutend, das Fellkleid an die Brust gepresst. Diesmal nahm sie die Straße. Sie blickte sich noch einmal zu dem Fenster um, hinter dem ihre Mutter stand, aber sie sah nur den Himmel, der sich in der Scheibe spiegelte, und die Primeln neben der Tür.
    Sie machte noch einmal halt, bevor sie sich auf den Weg nach Gargantua machte. Das Haus war verfallen, und das Grab im Schatten der eingefallenen Gartenmauer war so zugewachsen, dass der Grabstein aus einem Nest von Wurzeln und vertrocknetem Gras ragte. Ein Haselnussstrauch hatte sich davor ausgesät. Die Äste waren mit Kätzchen bedeckt und darunter lagen noch ein paar Nüsse vom letzten Herbst. Im eingravierten Namen ihres Vaters wuchs das Moos so dicht, dass es ihn grün auf den grauen Stein schrieb: Joseph Marie Auger.
    Fuchs war als Kind oft hergekommen. Sie hatte das Gras von der feuchten Erde gerupft, wilde Blumen auf den Stein gelegt und in dem verfallenen Haus nach dem Leben gesucht, das sie und ihre Mutter hätten führen können. Hier war ihr die Füchsin zum ersten Mal begegnet, und in dem Wald, der an die verfallene Mauer grenzte, hatte sie sie und ihre Welpen vor ihren Brüdern gerettet.
    »Ich weiß, ich war lange nicht hier«, sagte sie. »Ich habe Maman um den Ring gebeten. Ich bin nicht sicher, ob sie dein Geschenk gut genutzt hat. Manchmal wünsche ich mir, du hättest sie sterben lassen und die Jahre behalten, die du ihr gegeben hast. So etwas sagt man nur an einem Grab, aber es tut gut, es zu sagen. Vielleicht hättest du mich beschützen können. Ich habe jemand anderes gefunden, der das in den letzten Jahren getan hat. Es gibt niemanden, den ich mehr liebe. Er hat oft auf mich aufgepasst, aber jetzt bin ich an der Reihe, ihn zu beschützen.« Fuchs sammelte die Nüsse auf, die auf dem Grab lagen, und schob sie in die Tasche. Dann schwang sie sich auf ihr Pferd. Die Sonne stand schon tief, und Jacob hatte keine Zeit, zu warten.

28
DORNEN UND ZÄHNE
    D er Atem des Wolfs roch nach dem verrotteten Fleisch, das ihm zwischen den Zähnen hing, und seine Augen waren fast so golden wie die

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