Reckless - Lebendige Schatten
Jacob Reckless anhören müssen.
»Bestens.« Das Gesicht seines Konkurrenten wurde weiß vor Schmerz, als er erneut versuchte, sich aufzurichten. »Dann kann ich sie dir stehlen, wenn ich mir den Kopf zurückhole.«
»Tatsächlich?« Diesmal trug Nerron Handschuhe, die ihn schon vor so manchem schwarzen Zauber geschützt hatten. Trotzdem fuhr der Schmerz ihm bis in die Schulter, als er den Kopf aus dem Beutel zog. Die Augen waren geschlossen, aber der Mund war leicht geöffnet, und Nerron schob den Kopf hastig zurück in den Beutel, bevor er etwas von sich gab. Selbst ein toter Hexer hatte vielleicht noch einen Zauberspruch auf der Zunge.
Er schob den Täuschbeutel in die Jackentasche. Ihr Echsenleder hätte Reckless’ Menschenhaut wesentlich besser geschützt als der Stoff, aus dem sein Mantel geschneidert war. Weich wie seine Haut und ebenso leicht zerreißbar. »Bevor all dein Wissen von einem Wolf verdaut wird … Wie hast du es angestellt, der Kinderfresserin in Moulin die Rote Kappe zu stehlen? Man sagt, sie hatte dich schon in ihrem Ofen.«
»Ich verrate es dir, wenn du mir sagst, wie du die Weiße Amsel gefunden hast. Ich habe Monate nach ihr gesucht.« Reckless versuchte, eine Hand zu befreien, aber Würgeranken waren sehr zuverlässige Fesseln. »Macht ihr Gesang tatsächlich wieder jung?«
»Ja, allerdings hält die Wirkung nur knapp eine Woche an. Mein Kunde hatte bezahlt, bevor er das herausfand.« Nerron rieb sich die schartige Haut. Selbst im Schatten der Bäume schmerzte sie. Wenn diese Suche vorbei war, brauchte er dringend ein paar Monate unter der Erde. Aber es gab noch eine Frage, die er stellen wollte.
Er zog das Messer.
»Nur aus Neugier … Ich verspreche, dass du die Antwort mit ins Grab nimmst, oder sagen wir besser, in einen Wolfsmagen. Wo hast du deinen jadehäutigen Bruder versteckt?«
Na bitte. Es gab einen Weg durch die selbstbewusste Maske.
»Will. Das ist sein Name, oder?« Nerron beugte sich über seinen Gefangenen und schnitt einen frischen Trieb von der Ranke, die sich um seinen weichen Hals geschlungen hatte. Es fand sich immer Verwendung für Würgebeeren. »Weißt du, dass die Onyx fünf ihrer besten Spione darauf angesetzt haben, nach ihm zu suchen?«
Reckless folgte jeder seiner Bewegungen mit den Augen. Er hatte sich wieder unter Kontrolle, aber Menschenaugen waren so viel verräterischer als die eines Goyl. Ihre Wachsamkeit verriet, was sein Schweigen leugnete. Ja, die Gerüchte stimmten: Der Jadegoyl, der Kami’en die steinerne Haut gerettet hatte, war Jacob Reckless’ Bruder.
»Wo ist er?« Nerron schlug den frischen Spross in das Tuch ein, an dem noch ein paar Stacheln der alten Ranke hafteten. »Mit dem Silber, das die Onyx bisher für die Suche ausgegeben haben, könnten wir uns beide einen Palast in Lutis kaufen, und trotzdem haben sie bisher nicht die geringste Spur von ihm entdeckt. Es muss wirklich ein bemerkenswertes Versteck sein.«
Reckless lächelte. »Vielleicht zeige ich es dir, wenn du mir die Stachelfesseln abnimmst.«
Oh, Nerron mochte ihn – soweit er jemanden mögen konnte. Das Gefühl stellte sich praktischerweise selten ein. Seine Mutter war die einzige Person, der er je ungefragte Zuneigung geschenkt hatte. Man zahlte mit zu viel Schmerz für den Luxus, zu lieben.
»Nein«, sagte er. »Besser nicht. Die Onyx sind schon jetzt kaum zu ertragen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn der Jadegoyl einem von ihnen zu Kami’ens Krone verhelfen würde.«
»Ach ja?« Reckless verbiss sich ein Stöhnen. Er musste inzwischen gespickt sein mit Dornen. »Was denkst du, was passiert, wenn du die Armbrust für sie findest?«
Netter Versuch.
Nerron schob das Tuch mit der Ranke in die Tasche. »Der Auftraggeber fällt unters Berufsgeheimnis, oder?« Er hörte die Wölfe schon zwischen den Bäumen. »Ich frage auch nicht, für wen du nach der Armbrust gesucht hast.«
Er schenkte seinem Gegner ein letztes Lächeln.
»Ich bin wirklich froh, dass sich unsere Wege auf diese Weise gekreuzt haben. Ich war es so leid, ständig zu hören, dass du der Beste unserer Zunft bist. Viel Glück mit den Wölfen. Vielleicht fällt dir ja noch etwas ein. Überrasch mich! Sie lassen nicht viel übrig, und es wäre doch schade, wenn die Füchsin den Rest ihres Lebens damit verbringen würde, nach dir zu suchen.«
Nerron schwang sich aufs Pferd, als der erste Wolf sich an Reckless heranschlich. Die anderen würden bald folgen, aber im Gegensatz zu den Onyxlords
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