Reckless - Lebendige Schatten
Nächte vor Neid haben. Sein hässliches Gesicht würde die Titelseite jeder Zeitung schmücken und Fürsten und Könige würden um seine Dienste betteln. Nur die Onyx würden ihn tot wünschen, wenn Kami’en sich die Kronen von Lothringen und Albion auf den Kopf setzte. Sie würden den Tag verfluchen, an dem sie einen fünfjährigen Bastard nach Hause geschickt hatten, statt ihn zu ertränken.
Nerron ließ den Hundemann und den Knecht bei Louis. Sie waren dumm und laut und dieses Gegners nicht wert. Aber er gab Milchbart den Auftrag, die Teufelsmähren loszubinden und sie in den Wald zu scheuchen. Es würde allzu peinlich sein, wenn Reckless ihm auf die Art entkam.
Nerron blieb im Schutz der Bäume, bis er von der Stalltür aus nicht mehr zu sehen war. Reckless hatte keine Augen, die im Dunkeln sahen, und keine Haut, die schwarz wie die Nacht war, aber die Füchsin war bei ihm, und ihre Sinne waren scharf wie die eines Goyl.
Ein paar schnelle Schritte über den Hof. Den Rücken gegen die Stallwand gepresst … Reckless stand nicht mehr hinter der Tür. So viel konnte Nerron sehen.
Katz und Maus.
Er schob sich durch die Stalltür.
Ein Karren. Strohballen. Reisig, wie die Hexen ihn für ihre Besen brauchten. Vor allem die Füchsin konnte überall sein. Würde Reckless ohne Vorwarnung auf ihn schießen? Vielleicht. Obwohl er mehr von Regeln hielt als Nerron. Nach dem, was man über ihn erzählte, hatte er altmodische Ideen von Ehre und Anstand, auch wenn er es vermutlich nicht zugegeben hätte.
Wo waren sie?
Für einen Augenblick hatte Nerron Sorge, dass sie durch irgendeinen Zauber entkommen waren – aber im Revier einer Schwarzen Hexe wirkte nichts als ihr eigener Zauber. Hoffentlich sorgte Lelou dafür, dass Louis nicht einschlief und die Stalltür deckte.
Der Wassermann stand zögernd in der Tür. Was? Hatte er neuerdings Angst vor der Dunkelheit? Nun such schon, du Dummkopf!
Nerron stieß den Säbel in den Reisig.
»Ich sehe, du bist auch gut im Versteckspielen!« Seine Stimme klang wie geraspelter Granit. Der feuchte Brunnen saß ihm immer noch in den Knochen. »Ich will nur das Herz. Dann lass ich dich und die Füchsin laufen.« Er selbst hätte das Versprechen sogar gehalten, aber für Louis konnte er natürlich nicht garantieren.
Ein Follet huschte an ihm vorbei, und im Stroh raschelten die Ratten. Ein lauschiger Ort, aber in der Gesellschaft der Füchsin wurde wohl selbst der schmutzige Stall einer Kinderfresserin romantisch.
Da. Er hörte jemanden atmen. Gleich hast du ihn, Nerron . All die Mühe, weil er sich auf die Wölfe verlassen hatte.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren, aber es war bloß der Wassermann, der in eine Rattenfalle der Hexe getreten war. Schuppiger Idiot! Er stöhnte und fluchte, während er den Stiefel aus den eisernen Fängen befreite. Der Lärm lenkte Nerron für den Bruchteil eines Augenblicks ab, doch das reichte. Nerron hörte das Klicken des Spannhahns, bevor er sich wieder umdrehte.
Reckless stand kaum einen Schritt entfernt und zielte auf Nerrons Herz. Wo hatte er gesteckt? Zwischen den Strohballen? Eaumbre machte einen humpelnden Schritt auf ihn zu.
»Das würde ich lassen.« Reckless’ linke Hand war nass. Sein ganzer Ärmel triefte vor Blut.
»War das die Bezahlung für deinen verwundeten Freund? Wie edel.« Nerron winkte den Wassermann zurück. »Ja, die Kinderfresserinnen schneiden tief.«
Reckless zuckte die Schultern. »Keine Sorge. Abdrücken kann ich trotzdem.«
»Ja, aber wie oft? Du bist tot, noch bevor du aus der Tür bist.« Nerron warf einen raschen Blick hinter ihn, aber die Füchsin war nirgends zu sehen. »Komm schon. Wo hast du das Herz?«
Reckless lächelte.
O Nerron, du bist ein Idiot.
51
LAUF
A ngst. Und wieder Angst. Der Frieden dazwischen war zu kurz gewesen.
Sie war so müde, dass selbst das Fell keinen Trost mehr bot. Sie hatte ihre eigene Angst getrunken, aber Fuchs spürte sie immer noch. Wie ein Zittern in ihrem Innern.
Orte, die sich wie Schimmel ans Herz setzten … das schäbige Haus, in dem man das Meer roch. Die Rote Kammer. Man konnte sie einfach nicht hinter sich lassen. So schnell die Füchsin auch lief. Der Einzige, der sie vor ihnen beschützte, war Jacob.
Fuchs wollte neben ihm schlafen. Nur bei ihm sein und spüren, wie seine Wärme sie die Rote Kammer vergessen ließ. Und das Haus, das nach Salz roch.
Aber sie musste laufen.
Sie trug sein Leben um den Hals.
Nichts hatte je schwerer gewogen.
52
LIST UND
Weitere Kostenlose Bücher