Red Rabbit: Roman
kehrten sie ins Moorefields zurück. Unterwegs rauchte Hoods eine weitere Zigarette, war aber immerhin so rücksichtsvoll, darauf zu achten, dass der Rauch nicht in Richtung seiner amerikanischen Kollegin wehte. Zehn Minuten später befanden sie sich wieder im OP-Saal. Der eingesprungene Anästhesist berichtete, dass sich nichts Ungewöhnliches ereignet hatte, und die Operation wurde fortgesetzt.
»Soll ich Ihnen jetzt assistieren?«, fragte Cathy hoffnungsvoll.
»Nein, danke, Cathy«, erwiderte Hood. »Es geht auch so«, fügte er hinzu und beugte sich über seinen Patienten, der seine Bierfahne zum Glück nicht riechen konnte.
Caroline Ryan, M. D., FACS, fand, sie sollte sich gratulieren, dass sie es geschafft hatte, nicht schreiend aus dem OP zu stürzen. Stattdessen gab sie Acht, um sicher zu sein, dass diese beiden Engländer keinen Mist bauten und dem Patienten versehentlich das Ohr abnahmen. Vielleicht bekommen sie ja vom Alkohol eine ruhigere Hand, sagte sie sich. Aber sie musste sich ganz auf ihre eigenen Hände konzentrieren, damit sie nicht zu zittern begannen.
Das Crown and Cushion war ein ebenso gemütlicher wie typischer Londoner Pub. Das Sandwich war in Ordnung, und Ryan trank ein Glas John Smith Ale dazu, während er sich mit Simon Harding unterhielt. Er überlegte flüchtig, wie es wäre, wenn man in der CIA-Kantine Bier ausschenken würde, aber damit war in diesem Leben nicht mehr zu rechnen. Bestimmt bekäme sofort jemand im Kongress Wind davon und würde vor laufenden Nachrichtenkameras einen Mordsaufstand machen, auch wenn er sich selbst zu seinem Mittagessen im Kapitol selbstverständlich ein Glas Chardonnay genehmigte – und hinterher in seinem Büro auch noch etwas Hochprozentigeres. Andere Länder, andere Sitten, und vive la difference , dachte Ryan, als er später über die Westminster Bridge in Richtung Big Ben ging – was übrigens nur der Name der Glocke war, nicht des ganzen Turms, der entgegen aller irrigen Touristenmeinung St. Mary’s Bell Tower hieß. Den Parlamentariern dort standen bestimmt drei oder vier Pubs direkt im Gebäude zur Verfügung, dachte Ryan. Und wahrscheinlich wurden sie auch nicht besoffener als ihre amerikanischen Kollegen.
»Wissen Sie, Simon, wegen dieser Geschichte machen sich wohl alle Sorgen.«
»Warum musste er auch unbedingt diesen Brief nach Warschau schicken!«
»War denn etwas anderes von ihm zu erwarten?«, entgegnete Ryan. »Da leben seine Landsleute. Polen ist immerhin seine Heimat. Es ist seine Gemeinde, der die Russen den Garaus machen wollen.«
»Genau das ist das Problem«, pflichtete Harding ihm bei. »Aber die Russen werden sich nicht ändern. Eine schrecklich verfahrene Situation.«
Ryan nickte. »Allerdings. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen einen Rückzieher machen?«
»Noch sehe ich dafür keine handfesten Gründe. Es sei denn, Ihr Präsident würde Moskau eine deutliche Warnung zukommen lassen.«
»Selbst wenn er es könnte, würde er es nicht tun. Nicht bei solch einer Angelegenheit.«
»Die eine Seite tut, wozu sie sich moralisch verpflichtet fühlt, die andere handelt aus politischer Notwendigkeit und aus der Angst heraus, nicht rechtzeitig genug einzuschreiten. Wie gesagt, Jack, es ist eine heillos verfahrene Situation.«
»Pater Tim aus Georgetown pflegte immer zu sagen, Kriege werden von Männern angezettelt, die Angst haben. Sie fürchten sich vor den Folgen eines Krieges, aber noch größere Angst haben sie davor, nicht zu kämpfen. Wirklich eine tolle Art, die Welt zu regieren«, dachte Ryan laut, während er seinem Begleiter die Tür aufhielt.
»Als Beispiel werden Sie jetzt vermutlich den August 1914 anführen.«
»Genau. Aber wenigstens glaubten die Leute damals alle an Gott. In dieser Hinsicht sah die zweite Runde schon etwas anders aus. Da waren nämlich den Teilnehmern – zumindest den Bösen – gewisse religiöse Hinderungsgründe nicht mehr auferlegt. Ebenso wenig wie jetzt dieser Bande in Moskau. Aber es muss für menschliches Tun einfach Grenzen geben, sonst werden wir, ehe wir’s uns versehen, zu Monstern.«
»Sagen Sie das mal den Mitgliedern des Politbüros, Jack«, warf Harding leichthin ein.
»Werde ich, Simon.« Ryan entfernte sich in Richtung Toilette, um einen Teil seines flüssigen Mittagessens los zu werden.
Der Abend konnte für keinen der beiden Beteiligten rasch genug kommen. Ed Foley fragte sich immer wieder, was als Nächstes passieren würde. Es gab
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