- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
Strähne ihres blond gelockten Haars. Er konnte nichts anders.
Von Wut und Schmerz überwältigt, stieß sie ihn grob von sich und stürzte wieder hinaus in die Menge. Sie schlug den Weg nach Hause ein, innerlich wie abgestorben.
»Valerie, dich habe ich gesucht!«
Es war Henry Lazar. Sie blickte ihm widerwillig in die braunen Augen und erkannte, wie verschieden die beiden Jungen doch waren. Henrys hatte offene, ehrliche Augen, die nichts verbargen … aber vielleicht war da auch gar nichts, was sie verbergen konnten.
Valerie warf einen Blick zurück, entdeckte von Peter aber keine Spur. Sie versuchte, sich wieder zu fassen.
»Ich habe etwas geschmiedet. Für dich.« Henry spürte, dass sie mit den Gedanken woanders war, ließ sich davon aber nicht beirren. »Verzeih, ich weiß, jetzt ist nicht der
richtige Zeitpunkt. Bei dem, was du im Moment durchmachst … Ich hätte warten sollen …« Er spähte ihr über die Schulter und sah Peter in der Menge verschwinden. »Aber für den Fall, dass ich nicht zurückkomme, möchte ich, dass du dies hier hast.«
Valerie war fest entschlossen, Henry nicht zu lieben, ja nicht einmal gern zu haben. Sein Charme, seine rührende Aufrichtigkeit konnten ihren Entschluss nicht ins Wanken bringen.
Doch er fasste in die Tasche und zog einen schmalen Armreif aus Kupfer hervor. Er war von einer schlichten Eleganz, filigran verziert mit winzigen Punkten und feinen Rillen.
»Mein Vater hat mir beigebracht, so etwas zu schmieden und zu vervollkommnen, damit ich es eines Tages der Frau schenken kann, die ich liebe.«
Valerie war gegen ihren Willen gerührt. Alles wurde ihr heute genommen und jetzt bekam sie etwas geschenkt.
»Du wirst wieder glücklich werden«, sagte er mit bedeutungsvoller Miene und legte ihr den Armreif ums Handgelenk. »Das verspreche ich.« Valerie fühlte sich sonderbar getröstet.
Adrien nahte, legte Henry eine Hand auf die Schulter und deutete auf die Schar der Männer, die jetzt lautstark aus dem Dorf hinausmarschierten. Henry drückte ihr die Hand, straffte die Schultern und schloss sich dem Haufen an.
Valerie trat zu den anderen Frauen und sah den Männern nach. Sie konnte sich nicht helfen, aber diese Trennung zwischen Männern und Frauen machte sie ganz zornig. Es juckte sie in den Fingern, ebenfalls eine Waffe in die Hand zu nehmen, etwas zu tun, in ihrer Wut zu töten.
Sie entdeckte ihren Vater, der still hinter den anderen her trottete, ein Häuflein Elend in seinem schweren Mantel. Sie eilte zu ihm. Sein Blick war gebrochen und leer. Er tat ihr leid. »Ich komme mit«, sagte sie zu ihm.
»Nein.«
»Aber sie war meine Schwester.«
»Nein, Valerie.« Er schwang sich die Axt über die Schulter. »Das ist nichts für Frauen.«
»Du weißt, dass ich mehr Mut habe als die meisten von diesen Männern. Ich kann …«
Sie hielt verdutzt inne, als sie spürte, wie seine Hand sie am Arm packte. Sie hatte diese Kraft nicht mehr gespürt, seit sie als kleines Mädchen ehrfürchtig zu ihm aufgeschaut hatte.
»Ich kümmere mich darum«, sagte er mit wildem Blick. »Du kannst nicht mitkommen. Du bist alles, was ich noch habe. Verstehst du?«
In diesem Augenblick erkannte sie wieder ihren Vater in ihm und sie bewunderte ihn wie früher. Er war zurückgekehrt, in seiner ganzen Stärke. Und das gab ihr ein gutes, beruhigendes Gefühl, ein Gefühl der Sicherheit.
Sie nickte.
»Gut.«
Er ließ sie wieder los.
Dann sah sie, als beobachte sie das Verlöschen einer Kerze, wie die väterliche Stärke von ihm wich – und der traurige Mann, der zurückblieb, zuckte mit den Schultern und lächelte das Lächeln, mit dem er seit Jahren zu verstehen gab: Ja, ich bin der Angeschmierte, aber wenigstens weiß ich es.
»Falls ich nicht wiederkomme, wirst du, meine Tochter, meine Bettpfanne erben«, scherzte er.
Sie konnte nicht lachen. Und dann war er in der Gruppe verschwunden.
Er kann mit seiner Axt ja nicht einmal eine Kerbe in einen Baum hauen, dachte sie. Wie will er da einer blutrünstigen Bestie gegenübertreten?
Valerie machte sich auf den Heimweg, in Gedanken bei dem Salbeitrunk, den sie noch ihrer Umhängetasche hatte.
Als alle Frauen nach und nach in ihre Häuser zurückgekehrt waren und ihre Mutter dank einer Dosis von Großmutters Tee tief und fest schlief, tat Valerie, was sie tun musste. Sie warf sich ihren groben grauen Mantel über, den mit dem ausgefransten Saum und dem zusammengestückelten Lederkragen.
Sie wusste, wo die Männer
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