- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
hinmarschierten, wo der Wolf sein Versteck hatte. Sie hatte auf dem Weg, der zum Mount Grimmoor und in die Black Raven Woods führte, selbst schon Knochen gesehen. Sie folgte den letzten Nachzüglern durchs Dorf, wich aber, um nicht entdeckt zu werden, in die dunklen Gassen aus.
Sie belauschte und beobachtete sie von Weitem – und sah, was Männer taten, wenn sie unter sich waren wie ein Rudel wilder Tiere.
Bewaffnet mit einer Mistgabel und einem Küchenmesser, stieß plötzlich Claude zu ihnen. Er trug eine Art Kriegsmontur, die er sich aus alten Töpfen und Pfannen gebastelt hatte.
»I-i-ich komme mit«, sagte er mit ernster Miene, und beim Sprechen flogen seine Arme zur Seite wie aufgeschreckte Vögel.
»Tiere dürfen nicht mit«, rief einer der Männer. Die anderen lachten und schubsten Claude weg. Valerie wäre am liebsten zu ihm gelaufen und atmete erleichtert auf, als plötzlich Roxanne auftauchte, um ihn nach Hause zu bringen. Valerie hatte Mitleid mit Claude, fand aber auch, dass er zu Hause besser aufgehoben war.
Sie sah, wie Cesaire zu Adrien aufschloss, der mit wackerem Schritt an der Spitze des Zugs marschierte. Adrien sah imponierend aus in seinem Zorn.
»Ein Schlückchen gefällig?« Branntwein schwappte aus der offenen Flasche, die Cesaire ihm hinhielt.
Adrien hob abwehrend die Hand.
Cesaire zuckte mit den Achseln und nahm selbst einen tüchtigen Schluck. »Danke, dass Sie für meine Lucie eintreten«, sagte er.
» Wir sind ja bald eine Familie.« Adrien nickte. »Sie würden dasselbe für mich tun.«
Valerie hatte die beiden nie so kameradschaftlich miteinander gesehen. Wer hätte gedacht, dass der reichste Mann des Dorfes und der größte Trunkenbold jemals zueinanderfinden würden? Sie vermutete, dass selbst ein Trinker etwas besaß, was ein reicher Mann begehrte und gern seinem Familienschatz einverleiben würde. Valeries Wangen röteten sich, als die Erkenntnis sie traf — Ich bin nur eine Sache, mit der gehandelt wird.
Ihre Augen folgten einem vorbeihuschenden weißen Kaninchen, das im Schnee kaum zu erkennen war. Sie sah kurz ein feuchtes schwarzes Augenpaar aufleuchten. Doch für Ablenkungen war jetzt keine Zeit.
Sie sah, dass Peter und Henry links und rechts ganz am Rand des Weges mürrisch nebeneinanderher stapften. Sie
lagen gleichauf, denn keiner wollte hinter den anderen zurückfallen.
Sie beschnupperten einander argwöhnisch, wagten aber nur, zu dem anderen hinüberzulugen, wenn sie sich sicher waren, dass er gerade wegsah.
Valerie musste schnell ausschreiten, um den Anschluss nicht zu verlieren, trat aber vorsichtig auf, um kein Geräusch zu verursachen. Sie hob den Blick zu dem vollen blutroten Mond, der unheilschwanger am Nachthimmel prangte.
Sie könnte es nicht ertragen, heute Nacht noch jemanden zu verlieren.
Kapitel 11
G roßmutter sah, wie eine dunkle Krähenschar vom weiß schimmernden Waldboden aufstieg, und wusste, dass die Männer im Anmarsch waren. Sie trat auf die Veranda hinaus und wartete.
Bald darauf waren die Männer da. Sie schauten zu ihr hinauf wie zu einer Furcht einflößenden Göttin, und die Flammen ihrer Fackeln kräuselten die Luft, wenn sie vorbeigingen oder stehen blieben, um einen Blick von ihr zu erhaschen. Sie war eine sagenumwobene Gestalt, die sich außerhalb der Grenzen der Zeit bewegte. Sie war schön und jugendlich für ihre Jahre, wenngleich sie heute vor Gram etwas gealtert war. Ihr Haar war mit grauen Bändern zu Zöpfen geflochten und ihre tränenverschmierten Wangen wiesen keinerlei Falten auf. Kein Wunder, dass die Leute sie der Hexerei bezichtigten. Sie kam heruntergeklettert, in der Hand eine Kerze, deren Schein die Stufen beleuchtete.
»Mein Sohn«, sprach sie zu Cesaire und umarmte ihn. »Ich habe gehört, was unserer Lucie zugestoßen ist.« Sie sagte nicht, von wem.» Versprich mir, dass du vorsichtig bist, mein Sohn.« Sie reichte ihm ein Bündel, das sie für ihn gepackt hatte.
»Sei unbesorgt«, erwiderte er und lächelte in seinem Schmerz. »Auf mich hat es der Wolf nicht abgesehen. Ich bestehe ja nur aus Haut und Knochen.«
Traurig stieg Großmutter wieder die Treppe hinauf. Von ihrer Veranda aus sah sie zu, wie die Männer weiterzogen, als einer, der Letzte in der Reihe, plötzlich ausscherte und die Leiter heraufkam. Sie spürte, wie jedes Mal das Holz knarrte, wenn er sein Gewicht auf eine Stufe setzte. Er kletterte schnell – tapp, tapp, tapp. Großmutter erschauerte, als der ungebetene Gast auf der
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