- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
zu finden, denn die Jäger hatten anscheinend ihre eigenen Methoden. Und so bewahrten die Männer ihre Erkenntnisse für später auf.
An solche Dinge denkend, war auch Valerie eingeschlummert. Doch jetzt schreckten Vater und Tochter aus dem Schlaf hoch, als es – Bum! Bum! – an die Tür hämmerte und gleich darauf die Tür zu splittern begann. Jemand drängte herein.
Valerie stellte sich vor, wie mächtige Klauen wütend am Holz kratzten und riesige Zähne ganze Stücke herausrissen.
Das splitternde Holz der Tür flog auseinander – aber nicht der Wolf stürzte ins Zimmer. Es waren zwei Soldaten, die hereinstürmten, sofort das Kommando übernahmen und sich wie die Herren im Haus gebärdeten. Einer stieß mit dem Fuß einen Stuhl um, der ihm gar nicht im Weg stand. Auch die Menschen behandelten sie wie ihr Eigentum.
Sie stießen Cesaire beiseite, ergriffen Valerie und schleppten sie fort.
Suzette wachte nicht einmal auf.
»Erzähl ihnen, was du mir erzählt hast«, verlangte Solomon und lehnte sich über den Schanktisch in der Schenke.
Roxanne saß Valerie direkt gegenüber, sah sie aber nicht an, sondern durch sie hindurch auf die Wand dahinter.
Die Schenke war eilends zum Gerichtssaal umfunktioniert worden. Die Bänke waren zu Sitzreihen zusammengestellt worden, und wer darauf keinen Platz fand, benutzte Hocker. Valerie war für jedermann sichtbar vorn im Raum an einen Stuhl gefesselt. Schwer bewaffnete Soldaten hatten alle Ausgänge besetzt und wachten dort steif in ihren Harnischen.
Valerie hatte Peter hereinkommen gesehen, ihm angemerkt, wie schwer es ihm fiel, hier zu sein und sie so zu sehen. Er stand jetzt allein in der hintersten Ecke.
Roxanne wusste, dass sie antworten musste. Die Leute warteten darauf, dass sie ihr Versprechen einlöste und erzählte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und begann mit zitternder Stimme.
»Sie kann auf die höchsten Bäume klettern«, wiederholte sie brav, was sie Solomon erzählt hatte und was sie für die Wahrheit hielt, eine Wahrheit, die ihr das Herz brach. »Sie kann schneller rennen als alle anderen Mädchen. Sie trägt diesen roten Mantel. Die Farbe des Teufels«, wie sie für diejenigen hinzufügte, die eins und eins nicht zusammenzählen konnten.
Der Strick schnitt in Valeries Haut, während Roxanne fortfuhr. »Und sie kann mit Werwölfen sprechen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
Dorfbewohner stöhnten laut auf, und Roxannes Gesicht wurde unter ihren roten Haaren rosig von Tränen. Der Kummer ließ Valerie erzittern, als ihre Freundin verstummte.
»Bestreitest du die Anschuldigungen?«, wandte sich Solomon mit gespielter Fassungslosigkeit an Valerie.
»Nein«, antwortete sie ausdruckslos.
Ein Raunen ging durch die Menge.
»Ich bestreite sie nicht.«
Prudence saß ruhig und gefasst da. Ihre Mutter hatte es sich am Ende der Bank gemütlich gemacht und kaute an einer Haarsträhne. Henry saß zwischen einem Freund und seiner Großmutter und trug schwarze Trauerkleidung. Rose hatte den Platz direkt hinter Henry und versuchte selbst jetzt, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Peter stand immer noch alleine.
»Und was war der Inhalt dieses Gesprächs?« Solomon legte die Fingerspitzen aneinander.
Valerie, die erleichtert feststellte, dass sie noch einen Funken Humor in sich trug, unterdrückte ein Lächeln. Sie würde ihm die Auskünfte geben, aber in der Reihenfolge, die sie wollte. »Der Wolf hat gesagt« – sie machte eine Pause, um die Spannung zu steigern – »dass Sie nicht wissen, womit sie es zu tun haben.«
Solomon spürte, dass sich alle Augen im Raum auf ihn richteten, und lächelte überlegen. Er war zu klug, um in diese Fall zu tappen. »Das glaube ich gern«, erwiderte er süßlich. »Und was hat er noch gesagt?«
Valerie brummte der Kopf wie sonst nur, wenn sie eine
Erkältung bekam. Sie fühlte sich abgeschnitten vom eigenen Körper. »Er hat versprochen, Daggorhorn in Ruhe zu lassen. Aber nur, wenn ich mit ihm fortgehe«, dachte Valerie, nur um dann festzustellen, dass sie es laut ausgesprochen hatte.
Roxannes Körper reagierte. Der Schock stoppte die Tränen, die ihr Wille nicht hatte zurückhalten können.
Valerie spürte, dass Peters Augen sie aus dem hinteren Teil der Gaststube durchbohrten.
Eine beklemmende Stille legte sich über den Raum.
Solomon überlegte einen Augenblick. Das war besser, als er sich erhofft hatte. Er lehnte sich so dicht zu Valerie hinüber, als ob sie ganz allein wären. »Der Wolf ist
Weitere Kostenlose Bücher