- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
gottesfürchtiges Kind. Das gefiel ihm. Solomon hatte nichts dagegen einzuwenden, dass der Hauptmann sie zu ihm brachte.
»Ja, mein Kind?«, sprach er sie an.
»Ich bin gekommen, um über Claudes Freilassung zu verhandeln«, sagte sie ihren gut einstudierten Spruch auf.
Als Solomon nichts darauf erwiderte, schob sie die geschlossene Hand über den Tisch vor ihn hin. Sie öffnete die Faust, und es hörte sich so an, als hätte sie ein paar Geldstücke fallen lassen. Sie zog die Hand zurück wie von einem heißen Feuer, und Solomon sah, dass er sich nicht verhört hatte. Ein paar armselige Silbermünzen lagen auf dem Tisch.
Seine Lippen zogen sich zusammen. Doch es war unklar,
ob er sich ärgerte oder ob er ein Lachen unterdrückte. »Was soll ich damit?«, fragte er.
»Ich …«
»Damit könnte ich mir ein Roggenbrot oder ein halbes Dutzend Eier kaufen. Besten Dank für die milde Gabe. Aber jetzt heraus mit der Sprache«, fuhr er fort und rückte ihr so nahe, dass sie den Hauch seines kühlen Atems spürte. »Was hast du wirklich zu bieten?«
Roxanne strich die Münzen vom Tisch und zurück in ihre Hand. Sie kamen ihr jetzt schmutzig vor. Ihr Gesicht glühte, als sie mühsam hervorstieß: »Ich habe mehr als Geld.«
Vater Solomon zog die Augenbrauen hoch.
Sie legte ihr Schultertuch ab und lockerte ihre Bluse, bis sie ihre erstaunlich üppigen Brüste entblößt hatte, die sie sonst immer so sorgsam verhüllte.
Beim Anblick des nackten Fleisches grinste Solomon höhnisch und beleidigt. »Damit willst du mich bestechen?« Solomons Brauen war noch immer erhoben.
Der Hauptmann lachte herzhaft. Sie ließen sie so stehen und sie kam sich fürchterlich lächerlich vor.
»Wollen Sie mich nicht?«, murmelte sie, beinahe überzeugend in ihrer Rolle.
»Bessere dich, Mädchen«, stieß Solomon hervor.
Jetzt kam sie sich selbst schmutzig vor. Sie schaffte es, sich zu bedecken, ehe der Hauptmann Hand an sie legte, um sie nach draußen zu befördern.
»Warten Sie!«, rief sie.
Das Schlimmste, was Roxanne jemals hatte tun müssen, war, einen schmutzigen Betrunkenen zu schlagen, der ihre Mutter belästigte, während Claude daneben stand und bestürzt
zusah. Dies hier war viel schlimmer. Dies hier … würde sie immer verfolgen. Aber sie hatte keine Wahl.
»Warten Sie, bitte. Ich habe noch etwas.« Sie sprach so schnell, dass sie keinen Rückzieher mehr machen konnte. »Wenn Sie meinen Bruder verschonen«, begann sie, »gebe ich Ihnen den Namen einer Hexe.«
Jetzt hatte sie Solomons Aufmerksamkeit. »Na, das ist doch was.«
Kapitel 22
V aleries Vater wachte am Kamin, während Suzette im Bett lag und fantasierte. Das heißt, er war, eine Axt auf dem Schoß, auf einem Hocker zusammengesunken und schlief jetzt mit offenem Mund. Die Axt war genauso groß wie die aller anderen. Es war die, die er immer benutzt hatte, und dennoch sah sie jetzt zu groß für ihn aus. Valerie bemerkte die tiefen, pflaumenfarbenen Ränder unter seinen geschlossenen Augen und setzte sich neben ihn, um selbst Wache zu halten.
Als Valerie wie betäubt vom Kornspeicher nach Hause gegangen war, erblickte sie die drei kleinen Mädchen, um die sich Lucie immer gekümmert hatte. Sie saßen, blass und still, an einem Fenster und sahen mit stierem Blick und geschürzten Lippen zu, wie sie vorbeiging. Valerie fragte sich, ob sie sich in ein, zwei Jahren überhaupt noch an Lucie erinnern würden. Daran, wie freundlich und freigebig sie war, daran, wie sie sie nacheinander im Kreis wirbelte, dann eine von ihnen ein zweites Mal dran nahm, weil es ihr Freude machte, und dann, aus Gründen der Gerechtigkeit, auch die anderen noch einmal herumwirbelte. Ob sie sich daran noch erinnern würden?
Mitten in dem Chaos breitete sich unter der Oberfläche tiefes Misstrauen aus wie Schimmel. Der Blick der Dorfbewohner trübte sich, sodass sie einander nicht mehr in die Augen sahen.
Ein paar Männer hatten sich zusammengetan und eine Bürgerwehr gegründet, die an Türen klopfte und nach allem forschte, was aus dem Rahmen des Üblichen fiel. Und in den wenigen Stunden, in denen sie suchten, wurden sie auch fündig. Eine Dorfbewohnerin bewahrte eine bunte Sammlung von Federn neben ihrem Bett auf. Ein anderer besaß ein Buch in einer alten Sprache, behauptete jedoch, er könnte es nicht lesen. Eine Frau hatte ein Kind zur Welt gebracht, obwohl sie dafür eigentlich schon viel zu alt war.
Ja, sie wurden fündig.
Doch sie hatten Mühe, bei Solomons Soldaten Gehör
Weitere Kostenlose Bücher