Redwall 01 - Der Sturm auf die Abtei
bedeuten konnte: Sein Käpten griff die Abtei an.
Wenn er seinen Hals ganz weit nach vorne streckte und den Kopf unbequem zur Seite bog, konnte er das Kletterseil zwischen die Zähne nehmen. Wenn es ihm gelingen würde, sich zu befreien, dann könnte er sich vielleicht zurückschleichen und der Horde anschließen. Er könnte sich unter die Meute mischen und abstreiten, je abwesend gewesen zu sein. Vielleicht würde Cluny ja großzügig über seine Fahnenflucht hinwegsehen, wenn es ihm gelang, sich in der Schlacht besonders hervorzutun.
Das Seil hatte einen ekelhaften Geschmack. Zottelohr konnte an dem Geruch erkennen, dass es einst dem Schatten gehört hatte. Er hatte dieses mürrische Pokergesicht nie leiden können! Zottelohr beglückwünschte sich, als es ihm gelang, mit den Zähnen noch einen Strang durchzubeißen.
»Ha, dir werd ichs schon zeigen, Seil – da hast dus! Kein Seil kann Zottelohr lange gefangen halten, he, he, he! Armer alter Schatten, wenn du jetzt dein schönes Seil sehen könntest!« Zottelohr reckte sich einen Moment lang hoch, um den Schmerz in seinem Nacken zu lindern.
Das Gelächter erstarb ihm auf den Lippen. Ein Gurgeln des Grauens drang blubbernd aus seiner Kehle. Eiskalte Klauen des Entsetzens hatten seine Brust gepackt.
Vor sich sah er den größten, kräftigsten, bösartigsten Natternmann aller Zeiten. Er pendelte, einen Fuß von seinem Gesicht entfernt, hypnotisierend hin und her.
Zottelohr war vollkommen versteinert. Der Atem gefror ihm in der Lunge. Der unheimliche, plumpe Kopf folgte einem trägen Rhythmus; die gespaltene Zunge schnellte unaufhörlich vor und zurück; die runden pechschwarzen Augen ließen die seinen nicht für einen winzigen Moment los. Seine Stimme hatte einen Klang wie das Geraschel trockener Blätter im Herbstwind.
»Asmodeus, Asmodeussssssss«, zischte er. »Wie fein von dir, dich loszubinden, Ratte! Komm mit mir, ich führe dich in die Ewigkeit! Asmodeus, Asmodeussssssss.«
Er schlug blitzartig zu! Zottelohr spürte nur noch einen plötzlichen scharfen Stich an der Seite seines Halses. Seine Glieder wurden schlaff, sein Blick wurde von dunklem Nebel verschleiert. Die letzten Worte, die Zottelohr auf dieser Welt vernahm, wurden in der zischenden Sprache der Natter hervorgebracht: »Asmodeus, Asmodeusssssssssss!«
Cluny kratzte mit seiner Klaue auf dem Boden des Grabens herum. Er musste klappen, der Plan für seinen nächsten Schritt. Er würde die Abtei heimlich von der nach Mossflower gelegenen Seite angreifen.
Es sollte ein Überraschungsangriff werden. Ein von ihm angeführtes Überfallkommando von Auserwählten sollte den Einsatz durchführen. Gierschlund würde auf der Wiese bleiben und Clunys Kriegshelm und Rüstung tragen. Auf die Entfernung würde seine Verkleidung ausreichen, um die Verteidiger oben auf der Mauer irrezuführen. Die Ratten im Graben sollten den Angriff weiter aufrechterhalten, bis Cluny und sein Trupp die hintere Mauer erklettert und sich über den Innenhof vorgekämpft hatten, um das Tor der Abtei zu öffnen.
Nachdem er den zurückbleibenden Hauptmännern ihre Befehle erteilt hatte, kroch Cluny mit einer Gruppe von ausgewählten Ratten, Wieseln, Hermelinen und Frettchen den Graben entlang. Sie schleppten das lange Brett aus dem Zaun des Friedhofstores in St. Ninian mit sich. Geräuschlos bewegten sie sich in nördlicher Richtung, bis sie außer Sicht der Mauer waren. Sie kletterten aus dem Graben, überquerten die Straße und zogen in den Wald von Mossflower.
Cluny setzte sich auf einen umgefallenen Baumstumpf und sagte seiner Truppe, was er von ihr erwartete: »Ich werde hier mit den Holzbrettträgern warten. Der Rest von euch teilt sich auf und durchsucht die Gegend nach großen Bäumen, die dicht bei der Abteimauer wachsen. Seht zu, dass der Baum, den ihr aussucht, höher ist als die Mauer und nicht zu schwer zu erklettern. Kapiert? In Ordnung, auf gehts!«
Cluny sah zu, wie sie im Unterholz verschwanden. Seine gute Laune war wie weggeblasen. Als er so darüber nachdachte, was sein mächtiges Erobererheer an diesem Tag geboten hatte, wurde er wütend. Geradezu vorgeführt hatte man sie, mit den einfachsten Mitteln! Er schnaubte und grub seine kräftigen Klauen in den verwitterten Baumstumpf; Käfer und Waldläuse huschten davon, als er ein Stück des schwammigen Holzes herausriss. Oh, was hatte er ihnen doch anfangs für eine Angst eingejagt. Als Befehlshaber war ihm die Macht des Entsetzens nur allzu bekannt, aber
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