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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Hakl
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auszuleihen. Der vornehme Bursche im nächstgelegenen Hotel will uns entweder Zimmer vermieten und eine Störplatte mit Scham pus ordern oder gar nichts. An weiteren Rezeptionen werden uns ein Bankett, Kaviar oder Varieté angeboten, ansonsten sollen wir Leine ziehen. Boote haben sie nicht. No for foreigner. Vom Durst geplagt wollen wir draußen bei einem Straßenhändler Coca Cola kaufen. Er gießt sie uns in Becher ein. Als wir drei Zwei-Liter-Flaschen wollen, wehrt er sich vehement. Von weitem sehen wir, warum – er hat nur zwei. Das Getränk stellt er her, indem er Sodawasser einfüllt, Sirup zusetzt, mit viel Gefühl schüttelt und fertig.
    Auf einem halb versinkenden, schräg von einem Motorkahn gezogenen Floß setzen wir über ans andere Ufer. Dort, im Sand am Wasser, bauen wir die Zelte auf. Über den mit Gebüsch bewucherten, mit Abfällen bedeckten Strand kommt ein Mann mit Backenbart und Mütze auf uns zu, vor dem Bauch eine billige Spiegelreflexkamera. Er spricht uns an. Russisch, wie alle hier. Er will wissen, ob wir einen Film dabeihaben. Farbe. Oder schwarzweiß.
    Murgy fragt wacker in gebrochenem Russisch, ob er denn kein Fotomaterial in der Kamera habe. Natürlich gebe es in Rumänien keine Filme zu kaufen, antwortet der Mann. Außerdem sagt er, dass wir für ein Ruderboot zum Hotel
Lebăda
müssen, dort vielleicht. Rulpo zückt die Landkarte. Der Mann piekt mit dem Gelenk des fehlenden Zeigefingers energisch darauf, obwohl er alle übrigen Finger noch hat. In der untergehenden Sonne leuchten seine behaarten Ohrläppchen rot auf. Wir sollen mit dem Raketenboot durch den zentralen Kanal fahren, hier aussteigen und dort fragen. Le-bă-da, wiederholt er viele Male, er will es auch von uns hören: Le-bă-da. Ob das Hotel in Betrieb ist, weiß er nicht. Letztes Jahr war es geöffnet. Wie auch immer, hier würden wir nichts finden – hier gibt es nichts als Wucherpreise, falsche Polizisten, Vogelgrippe und Cholera.
    „Chólera, panimajetje?“, legt er uns ans Herz. Wir mögen vorsichtig sein und dürften kein Wasser, sondern nur Bier trinken.
    Wir fragen ihn, wo wir das hernehmen sollen. Er antwortet, dass er uns welches verkauft, woraufhin er verschwindet. Nach einer Minute ist er zurück mit einem Beutel voller Flaschen.
    Wir sitzen auf einem Holzbalken, trinken warm gewordenes Bier. Der Hafen uns gegenüber sieht aus, als hätte er einen Bombenangriff hinter sich. Aus dem Wasser ragt ein kompletter Schiffsbug senkrecht auf, und das Schiff ist nicht klein gewesen. Ein Stück weiter liegt, stark seitwärts geneigt, ein anderes Überseeungeheuer an der Mole angebunden, in dessen Innereien Kräne herumkramen, ähnlich den Kampfmaschinen aus
Krieg der Welten
.
    Auf meinem Handrücken landet die erste Mücke. Gegen das Licht ist zu sehen, wie sich ihr Bauch mit Blut füllt. Zeit, sich zu verkriechen. Ich mache den Reißverschluss zu, wickle mich in den Schlafsack. Von draußen dringt das fettige Trommeln der Schiffsmotoren zu mir, eine Mischung aus alkoholisiertem Geschrei, Quietschen und Vogelwahnsinn.
    Am Morgen gehe ich in ein Gebüsch Wasser lassen. Kaum bin ich fertig, steht Rulpo neben mir. Kaum macht der seinen Hosenstall zu, steht Murgy neben uns und nuschelt mit seiner Letnáer Kratzstimme: „Ich hab, äh-äh, geträumt, wie ich zu Silvester in Opava am Bahnhof auf den Schnellzug warte. Ich setz mich auf eine Bank, und auf einmal seh ich, das ist keine Bank, sondern ein Schaffner im Mantel, und der sagt zu mir: Merk dir, Leoš, Schicksal heißt auf Armenisch BACHT und Liebe SER!“
    Wir packen und gehen zur Anlegestelle. An der Mole schaukelt die
Raketa
– ein futuristischer Aufschrei von Schiffsbauern, hier in der derben russischen Ausführung. Das Deck füllt sich mit Onkelchen und Mütterchen, allerlei Getier, Händlern mit vollen Taschen, zwielichtigen Burschen in Ballonseide.
    5 ICH STEHE AUF DER PLATTFORM DES AUSSICHTSTURMS NEBEN DEM HOTEL
LEBĂDA
. Ich stütze meine Hände auf den ehrlichen Stahlbeton. Wir sind im Zentrum des Deltas, überall um uns herum Schilf, Auenwälder, Stromleitungen, Elektromasten. Ob das Hotel in Betrieb ist, konnten wir nicht in Erfahrung bringen; an der Rezeption saß eine Gruppe geschmackvoll gekleideter Damen, sie reagierten allerdings auf keine der angebotenen Sprachen.
    Unterhalb des Aussichtsturms knackt Rulpo mit den Fingern, haucht sich in die Hände, kratzt sich am Schopf, klopft seine Oberschenkelmuskulatur durch, dann geht er irgendwohin. Murgy lehnt

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