Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Hakl
Vom Netzwerk:
ein. Dazu legte ich Sonny Terry auf, ein cooler Typ, der definitiv ordentlich Zug gefahren sein muss, bis ihm das Jaulen und Rattern ins Hirn gekrochen ist:
Take this hammer, carry it to the captain, tell him I’m gone, tell him I’m gone
, brummte ich mit ihm mit. Und das Unglück war bereits auf dem Weg.
    Es kam als Klingeln des Festnetztelefons. Zweimal und aus. Der Triller meines Vaters. Als es nach zehn Minuten Pause noch einmal schepperte, sprang ich auf und nahm ab.
    „Sorry, äh, war irgendwie unterbrochen, du weißt ja, wer anruft, ha-haa! Tjaa!“, kicherte der Hörer. „Wow, Alter, ein Haufen Leute hier … Ja, ich! Hähää, Seppel! Naa?“
    „Hallo“, sagte ich, „wie geht’s?“
    „Hmm, tjaa, nun, ha-haa … ’ne Menge passiert, tja, alsoo …“
    Ich musste mich ziemlich konzentrieren, um den Sinn der Nachricht zu erfassen. Es ging darum, dass ich bei unserem Gespräch im
Fraktál
behauptet hatte, ich sei ein paar Mal ins Donaudelta gefahren. Ich hatte so was in der Art erzählt, richtig. Im falschen Moment war damals in mir die Schnatterente erwacht. Ich hatte etwas von Hechten gefaselt, die einfach auf den Blinker gehen, auf die nackte Sehne. Tjaa, ja-haa, und weil dieses Jahr Albanien nicht geklappt habe (Albanien – super Reiseziel!), da sei ihm eingefallen, ob wir uns nicht zusammen auf den Weg ins Delta machen wollen.
    „Es ist aber nicht gut, dort nur zu zweit hinzufahren“, wandte ich ein.
    „Wir sind schließlich drei, oder? Komm mit!“
    Und so schaukeln wir in einem gemeinsamen Abteil durch die Gegend, Murgy, Rulpo und ich. Papas Urne ruht auf dem Boden meines Rucksacks. Wohl wahr, das Schwarze Meer ist das ekligste von allen. Aber es besteht immerhin die Chance, durch den Bosporus ins Marmarameer zu gelangen, durch die Dardanellen in die Ägäis und schließlich nach Hause, ins Mittelmeer. Zumindest ein paar Moleküle könnten das schaffen.
    3 VOM GLÜHEND HEISSEN BAHNSTEIG IN CONSTANTŢA AUS KÖNNEN WIR DAS MEER SEHEN. Dorthin wollen wir allerdings nicht. Wir gehen von einem Ende des Bahnhofs ans andere. Irren zwischen den kreischbunt angestrichenen, Öl spritzenden Loks herum, kommen an mitgliederstarken Familien vorbei, die in aller Seelenruhe im Gleisbett kampieren. Wir suchen unseren Anschluss. Steigen in einen Zug mit drei Waggons, jeder bis unters Dach vollgepfropft.
    Wir schnaufen durch eine erbärmliche Gegend. Überall Trümmerhaufen, Löcher im Boden und Chemiefabriken. Die breiten, flachen Täler sind randvoll mit trockenen Wäldchen, Rauch und hoffnungsloser Plackerei. Ich stehe ans Fenster gequetscht in einem Knäuel trocken riechender Männer, die eine Flasche kreisen lassen. Durch die schweigende Menge zwängen sich Schamaninnen in bunten Gewändern. Sie schütteln ihre Ohrringe wie Teufelinnen; sie bieten Kaugummis an, unverpackt direkt aus der Hand, Kartenlegen, eine schnelle Reisehypnose, eventuell – den Pupillenbewegungen nach zu urteilen – eine Nummer mit einer anderen Schamanin, die auf dem Klo wartet. Der Blick einer Schamanin wandert zu meinem Rucksack. Jaj, jaj, jaj, bedauert sie mich. Sie legt mir ihre trockene Handfläche auf die Wange. Leid, sehr leid. Ich stecke ihr ein Bakschisch zu, eine Handvoll Kleingeld. Danach werde ich genötigt, einen Schluck aus der Flasche zu nehmen, die mir jemand über die Schulter reicht. Das Zeug schmeckt nach Kartoffelschnaps. Vom Ende des Wagens ertönt ein ausdauerndes Geräusch, als würde jemand auf einer Fujara spielen.
    Über die Scheitel der Tücher und Hüte hinweg erspähe ich ab und zu den hoch aufgeschossenen Rulpo. Unter dem linken Auge hat er einen gewaltigen blaugelben Bluterguss, den hat er schon aus Prag mitgebracht. Die angeklatschte rötliche Stirnlocke verdeckt sein halbes Gesicht. Er ist ganz in sich versunken. Wirkt, als sei er gar nicht da. Ein geübter Reisender.
    4 UNS EMPFÄNGT DIE STADT TULCEA, HINTER DER SICH DIE DONAU IN EIN UNÜBERSCHAUBARES NETZ AUS KANÄLEN, DURCHSTICHEN, SEEN, SÜMPFEN UND SCHILFFELDERN VERZWEIGT. Die Gleise enden in einem Erdhaufen an der Wand eines zerfallenen Lokschuppens. Seit 1988 hat sich nichts verändert. Ein paar Schritte und wir sind am menschenleeren Ufer, von wo aus man den Strom betrachten kann. Wir blicken auf eine Bucht, die auf der einen Seite von Betonburgen gesäumt ist, auf der anderen vom Hafen und auf der dritten von einer Fabrik, die schwefeligen Qualm ausstößt.
    Wir fragen uns, ob es wohl möglich ist, hier irgendwo ein Ruderboot

Weitere Kostenlose Bücher