Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
zivilisierten Teil meiner Bestellung fertig bin, folgt das Bindewort: „I?“
„I butylku moldawskowo Konjaku“, sage ich in ihrer Sprache, so gut es geht, um sie nicht unnötig zu wecken.
„Tschtery sto pidisjat“, erwidert sie, die Kasse klingelt, und sie gibt mir das geschätzte Wechselgeld raus.
Auf dem Rückweg rufe ich versuchsweise bei Vlá?a an, der gleich hier um die Ecke wohnt.
„Ja-ha?“, schreit mich der Hörer an.
Ich sage den Satz aller Sätze, der lautet: „Komm raus!“
„Komme.“
Ein Herr um die fünfzig mit Fleecejacke kommt angerannt, er lacht wie ein Vampir.
„Es schifft“, sage ich.
„Kann nix schaden“, antwortet er. „Wo gehen wir hin?“
„Egal.“
„Also, vielleicht ins
U vyndanejch
“, schwenkt er seinen Arm in Richtung Nordwesten.
„Super Idee“, lüge ich, obwohl ich gerade auf dieses Loch, wo sie dauernd nur
ZZ Top
und
Tři sestry
spielen, keine große Lust habe. Aber ich gehe mit, lache, rede dummes Zeug – was kann ein Freund heute schon mehr für einen Freund tun.
III. DER FRIEDHOF
AM STRAND
Erwarte nicht, dass wir zwei uns
noch einmal begegnen,
so kurz ist doch das Leben,
fort nun muss ich auf dem weißen Schiff
.
Josef Gruss
1 DIE DURCHS HALB OFFENE FENSTER PFEIFENDE NACHTLUFT BLÄHT DIE ZIMTFARBENE GARDINE. Ich liege auf einer schmalen Pritsche und starre ins Dunkel. Unter mir läuft eine leise Unterhaltung.
„Es gibt Frauen, die nehmen dich so aus, da bist du wie frisch operiert – du musst warten, bis das wieder zusammenwächst.“
„Ich bin doch okay.“
„Bist du nicht.“
„Ich hab gerade geträumt, dass ich aus Fröschen Gulasch koche.“
„Vielleicht dauert’s nicht mehr lange, bis wir das erleben.“
„Würdest du das fressen?“
„Klar.“
„Hamma Pfeffer mit?“
„Hamma. Und was ist mit deinem Kumpel?“
„Der musste mal zu ’ner Firmenparty, da ist er los, sich in so einem besseren Laden einen Anzug kaufen. Und als er den vierten anprobiert hat und der immer noch nicht passt, da sagt er als Joke zu der Verkäuferin: Will you marry me? Die soll sofort losgeheult haben.“
Der Rest geht in einem Quietschen unter. Der Zug bremst, wird langsamer, schiebt sich im Schritttempo voran. Der Himmel nimmt langsam eine bleiche Farbe an. Neben der Strecke wuchert Beifuß.
„Ahoi“, sage ich und lasse meine Beine auf den Boden runter.
Meine Mitreisenden grüßen zurück, sie gähnen, blinzeln, klappen ihre Liegen hoch.
In den Zug steigen magere Hoschis in blauen Uniformen. Sie gehen durch den Waggon. Auf der Brust hängt ihnen eine Kalaschnikow mit einem Schaft in der Farbe von ausgelutschten Toffees. Jedem einzelnen Passagier schauen sie mit scharfem, amtlichem Blick ins Gesicht.
Die Lok zieht wieder an. Wir betrachten die Bilder vorm Fenster. Kerle mit nacktem Oberkörper nehmen reihum einen Schluck aus einer Korbflasche, um sie im Kreis erbarmungswürdige Hunde. Auf den langsameren Abschnitten, in den Kurven winken Hunderte Kinder: Daj, daj! Hier und da fliegt nur so zum Spaß eine Zigarette zum Fenster raus, ein Kaugummi, ein Bonbon. Diejenigen, die sich nicht um die Beute prügeln, weil sie zu weit weg sind, schmeißen immerhin mit Steinen nach dem Zug.
Die Waggons neigen sich mal nach links, mal nach rechts. Wir rasen mit Karacho durch die engen, tiefen Felseinschnitte der Karpatenwälder. Das wütende Donnern der Achsen, die feuchte Waldluft, tobende Wasserfälle. Hoch in den Bergen ragen in regengesättigtem Nebel kahle Felsenspitzen auf. An der Strecke huscht eine Bude vorbei, daneben steht in Habtacht eine großäugige Vogelscheuche mit Schnauzbart, eine Mütze auf, die Flinte über die Schulter, und salutiert.
Es folgen halb überflutete Laubwälder entlang der Donau. Pferdefuhrwerke rumpeln über Brücken, Laster quälen sich durch Pfützen. Ramponierte Häuser ducken sich um strahlend weiße Kirchen, von deren Giebel den Passanten das schwarze Auge des Herrn, des
Gospodin
anstarrt.
2 VOR EINER WOCHE HOCKTE ICH WIE IMMER VOR DEM NOTEBOOK, ALS MIR EINE ERLEUCHTUNG KAM. Wie wär’s, einfach aufzustehen und irgendwo hinzufahren? Die Türkei besuchen, durch die Wälder um Nové Hrady streifen oder wenigstens zu Tomík nach Děčín fahren. Das Notebook zuklappen. Sich bewegen. Unter Leute gehen. Ans Meer fahren und meinen Vater ausstreuen, wie ich es versprochen habe. Diese Idee ließ mich nicht mehr los. Ich legte mich auf den Teppich, um alles zu durchdenken. Ich goss mir den Rest des moldawischen Cognacs
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