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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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Licht zwischen den schlanken Baumstämmen, die Berührung durch das Licht. Er stellt sich vor, dieser Moment wäre in seiner vollen Wirklichkeit aufbewahrt, in einem Film, den die ganze Welt sehen kann, den er jetzt und nur jetzt sieht. Er sieht, dass der ganze Körper, sehr langsam, aber offenbar nicht in Zeitlupe aufgenommen, sondern mit der wiedergegebenen Langsamkeit einer wirklichen Bewegung, aus der Erde auftaucht. Das Gesicht der Frau (als wäre es niemals vergraben gewesen) ist weiß, ohne eine Spur; seinen Ausdruck verstehst du nicht zu lesen. Es ist eine Frau, die sozusagen aus dem Tod ins Leben zurückkehrt; wie solltest du den Ausdruck ihres Gesichtes zu lesen verstehen, es ist doch genug und mehr als du fassen kannst, dass du ihn siehst.
    Als er ihr in die Augen schaut, auf die silbrige Grenze der Iris, in dem einen kurzen Augenblick knapp vor dem Ende des Films, in dem er ihr in die Augen schauen kann, erkennt er erst, was ihn, viel mehr als die Nacktheit der Tänzerin und die Ahnung eines im Körper verborgenen Wissens, schon von Beginn an vor dem Fernseher festgehalten hat. Sie ist ganz sicher keine der Frauen (keines der Mädchen) von den Fotos, aber der Blick ist derselbe. Das Wissen ist dasselbe, die Entschlossenheit, ihm kommt vor, er wäre sein ganzes Leben diesem Wissen ausgewichen, vor diesem Wissen, dieser Entschlossenheit davongelaufen. Aber eine Entschlossenheit wozu denn. Sie sieht ihn an, diesen kurzen Augenblick lang; oder sieht etwas an, das an der Stelle sein sollte, wo sich er befindet. Was er finden muss, ist dieses Etwas, schießt ihm ein, gar kein bestimmter anderer Mensch, sondern dieses Etwas.
    Es gibt keinen Nachspann, eine Einblendung, von der er sich nicht ganz sicher ist, ob sie noch zum Film gehört, sagt: Ankoku (songe verité), er schaltet schnell, bevor irgendetwas beginnt, das bloß Fernsehen ist, den Fernseher aus. Es drängt ihn, etwas zu schreiben, diesem Etwas (dem Blick) nachzuspüren, aber er weiß, dass er niemals in irgendetwas, das er selbst schreibt (und das immer bloß Text bliebe), wiederfinden kann, was er sucht. Blicke aus anderen Welten, ein Haus, eine Form.
    Seine (Pres) Wohnung ist ein Wald, ein Garten. Er spürt sich Schritt für Schritt ins Badezimmer gehen, zieht Stück für Stück alle seine Kleider aus, zuletzt seine schon wieder etwas feuchte und etwas müffelnde Unterhose, stellt sich vor die Klomuschel, vor der er viele tausend Male so gestanden ist, vor genau dieser Klomuschel. Er steht viele tausend Male und nur jetzt da. Dieser Körper in der scheinbar abgeschlossenen Wohnung ist heilig; dieser Körper wie der Körper der Frau im Wald, der Frau im Nichts, sein Kinderkörper, den er versteckt sieht in dem ein wenig (nicht allzu) schlaff gewordenen, dem haarigen blassen Männerkörper, der der seine ist, den er versteckt sieht und erkennt; jetzt spürt, ganz deutlich, in seiner Nacktheit (wie er sie als Kind und als Jugendlicher, er weiß es wieder, spüren hat können und seit längerem nur mehr spürt, wenn er allein ist und die Wohnung seine Bühne), mit einem unbestimmten Begehren, einem Begehren wonach, nicht einfach nach Sex (welcher Form von Sex auch immer), nicht einfach nach einer Art von Antwort, nicht einfach danach, dass die Tür sich öffnet und er ertappt wird. Ertappt bei nichts, beim Dasein, Nacktsein, Ein-Kind-Sein, beim Alleinsein; er will ertappt werden und dabei immerzu weiter allein sein, bis er nicht mehr er ist, nicht mehr im Zentrum steht und nichts mehr für sich will, in dieser Geschichte darf nämlich kein Ich vorkommen, sonst wird sie gemein und verlogen.

Niemand ist in der Nähe, zu hören ist nur der Wind in den Zweigen, du folgst den Spuren, in den Wald hinein, durchs Dickicht hindurch, eine Böschung hinab. Du weißt, dass es den einen Baum nicht gibt, den einen Ast nicht gibt, es gibt nur, immerzu, für immer, die leeren und ruhigen Gesichtszüge, das vertraute Lächeln. Er könnte etwas sagen, nein, natürlich wird er nichts sagen, er könnte ein Zeichen geben, ein unverständliches Zeichen. Aber da ist nur diese Leere, dieser Blick, dieses vertraute milde Lächeln. Dies ist kein Traum, du weißt, wenn du träumst, dies ist die Wirklichkeit, es gibt keine andere Wirklichkeit. Halb glaubst du dich schon mit dieser Natur rundum, der Erde, dem Holz, dem faulenden Laub verschmolzen, das Licht zieht dich in sich hinein.

V
(Stadt, 2.-3. März 2000 und später)
    Es ist ein Donnerstag Anfang März, auch das Begräbnis

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