Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
wird an einem Donnerstag sein, zwei Wochen später. Weil sie die Wäsche nicht einfach im Badezimmer liegen lassen kann, immer über sie hinwegsteigen oder durch sie durchgehen wie durch eine Schlammschicht, stopft sie sie frühmorgens kurzentschlossen in die Waschmaschine, wirft ein Tab ein, das mechanische Surren, Heulen und Rumpeln begleitet sie über Stunden hinweg, die Musik zu ihrem Verrat. Was heißt hier Verrat, hat sie den Verrat begangen, indem sie bleibt, oder Mona, indem sie gegangen ist? Du kannst Mona doch einfach hassen, an allem, woran sie leidet, könntest du ebenso gut und ebenso rücksichtslos leiden. Du kannst doch hassen. So und so viel Hass, so und so viel Liebe, so und so viel Verzweiflung ist vorgesehen, denkst du eine Sekunde lang, es gibt eine feste Ordnung der wenigen Personen, auf die es ankommt, mit einer fixen Verteilung von Hass, Liebe und Verzweiflung; wenn sie aufgebraucht sind, ist nichts mehr da, dann beginnt das Paradies oder der Tod oder das wirkliche Leben oder sonstwas.
Am Abend findet, so wie jedes Jahr am letzten Donnerstag im Fasching, der große Repräsentationsball in der Staatsoper statt, gegen den irgendeiner ihrer früheren Freunde vor Jahren demonstriert und den er als Großen Raubmörderball in der k. und k. Hofoper bezeichnet hatte, was ihr schon recht war, aber auch übertrieben und irrelevant und als ein Einschlagen auf Abbildungen statt auf wirkliche Feinde vorgekommen war, doch diesmal ist es eben ein Donnerstag, also hat die Demonstration eine doppelte Bedeutung als Donnerstags- und Antiopernballdemonstration und damit einen Wert und kann Zeichen und mehr als Zeichen sein. Fernsehkameras sind dabei, statt der Schleichwege durch die Stadt an den anderen Donnerstagen, mit da und dort Applaus aus den Fenstern, da und dort Beschimpfungen von Autofahrern, die aber alle bloß zufällige momentane sofort verpuffende, eigentlich also private Begegnungen sind, gibt es einen großen, allgemein wahrnehmbaren, also wirklich öffentlichen und wirklich dauerhaft vorhandenen Demonstrationszug, so stellt sie es sich vor. Sie bringt den Tag in einer unbestimmten Erwartung hin; die Waschmaschine räumt sie nicht aus. Sie sieht sich neben ihrem eigenen Körper hergehen, ihm Befehle geben; genau so gut könnte sie ihm andere Befehle geben. Ab und zu will sie sich einbilden, Mona schaue ihr zu, und sie ertappt sich dabei, Worte an sie zu richten, aber warum sollte Mona ihr zuschauen wollen, sie hat ihr nicht einmal früher zuschauen wollen, so wenig wie sie ihr jemals zuhören wollte.
Abends zieht sie eine alte Lederjacke an, zwingt sich, nicht zu früh aus dem Haus zu gehen, sie will keinesfalls zu den ersten, noch völlig sinnlos vor einer Riesenmenge von Polizisten dastehenden Demonstranten gehören, weiter warten müssen, auf der Ringstraße vor der Oper, in befohlenem Abstand, gleich schon Angst bekommen, weniger vor der Polizei als vor der Aussichtslosigkeit des Ganzen, den Lügen, die morgen in der Zeitung stehen werden, den hämischen niedermachenden Kommentaren, die morgen die Politiker von sich geben werden. Sie sitzt in der Lederjacke und ihren Turnschuhen am Küchentisch, draußen ist es schon dunkel, sehr langsam trinkt sie ein zu kaltes Bier, das sie aus dem fast leeren Kühlschrank genommen hat, eigentlich will sie so sitzen bleiben, im Dunkeln, hier zu Stein werden.
Sie hat keine Schneise in die Welt gezogen. Es war zu nichts gut, sie hat keine Gesten gesetzt und wiederholt und als Zeichen in die Luft und den Erdboden eingebrannt, sie erinnert sich an die letzten Wochen, und die Zeit zieht sich auseinander, wie Zeit sich eben auseinanderzieht, sie kann die Daten, die Wochentage benennen, sie erinnert sich an die Namen der Idioten, denen sie begegnet ist, begegnet und entgangen ist, nein, natürlich weniger an ihre Namen als an ihre Gesichter und ihre Hände, ihre falsch zusammengebauten Gesichter und ihre falsch gesteuerten Hände.
Es ist kein Problem für sie, jede Nacht oder immer, wenn sie es nötig hat, einen Platz zum Schlafen zu finden, aber die Leute, die Männer oder manchmal Frauen oder Gruppen von Punks (noch am besten, aber es sind zu viele), sind ihr im Weg und verstellen ihr den Blick. Überall findet sie dumme Antworten, was sie tut, ist ihr selbst nicht mehr sichtbar, immer landet sie im wirklichen Raum, immer öfter erkennt sie die Orte wieder, weiß, was ihr begegnen wird, wenn sie um die nächste Ecke biegt, immer öfter wird sie angesehen wie
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