Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
ein Tier, ein stinkendes Tier, einmal noch duschen, einmal noch sich unsichtbar machen, etwas Geld stehlen, essen und trinken, tanzen gehen, ein Tanz, der einen für die Menschen sichtbaren Tanz nachstellt, ihre Art von Tanz gibt es beinah nicht mehr.
Einmal steigt sie, von einem blauen Licht hinter den Milchglasscheiben angezogen, über einen Zaun und dann eine Böschung hinunter zu einem Schuppen, der neben den U-Bahngleisen in die schräge Mauer des regulierten Flussbetts hineingebaut ist. Der Fluss ist ein dünnes Rinnsal, das über Pflastersteine läuft. Mit einem Stein bricht sie das rostige Vorhängeschloss an der Gittertür auf, die Tür öffnet sich knarrend. Das blaue Licht war irgendeine Spiegelung, drinnen ist es finster. Es riecht nach Staub und Öl. Nach einiger Zeit gewöhnt sie sich ans Dunkel, erkennt Werkzeuge, die an Haken an der Wand hängen, in Regalen und am Boden ohne erkennbare Ordnung lagern, neben Blechkanistern, Schleifmaschinen, Packen mit Plastikhandschuhen; am Boden liegt auch eine angesengte Matratze, es gab hier schon einen Bewohner, vielleicht erst vor kurzem, aber sie weiß gleich, dass der Bewohner nicht wiederkommen wird. Sie legt sich auf die Matratze, schmiegt sich in ihre Lederjacke, die sie von wer weiß wem hat, schließt die Augen, atmet, mit einem rasselnden Geräusch in der Kehle, nenn das Tanzen. Ab und zu braust eine U-Bahn vorbei, der Lärm kann die Welt verschlingen. Dann wird es immer stiller, als der Lärm sie mitten aus einem intensiven Traum herausreißt, ist es draußen immer noch dunkel, aber eine Laterne scheint grell in den Schuppen hinein, sie zittert vor Kälte, kann das Zittern nicht kontrollieren. Die ersten U-Bahnen fahren, bringen Arbeiter in die Stadt, sie erinnert sich, wovon sie geträumt hat, erinnert sich, mehr noch, dass sie immer denselben Traum träumt, seit Tagen oder Monaten oder immer schon, wie ihr jetzt scheint, mit leichten Varianten. Sie geht immer denselben Weg, ihre Füße versinken im Boden, während sie vorangeht, zwischen den leblosen Baumstämmen, unter einem grauen Himmel, sie denkt im Traum, sie hat doch gelernt, sich in der Bewegung zurückzuhalten, die Schwere in Leichtigkeit übergehen zu lassen, in sich zu versinken, bis sie fliegen kann, wo ist nun das Gelernte. Der Ort umschließt sie, hinter ihr ihr Haus, ihr Elternhaus, sie hat Eltern, sie hat Eltern gehabt, also hat sie Eltern, vor ihr der Wald. Hinter ihr jemand, der den Dreck wegräumt, ihr scheint, das wäre immer noch sie selbst.
Das Licht verschwindet nicht, sie kommt auf die Beine, draußen ist niemand. Eine Baustelle, ein Scheinwerfer. Sie hat fünfzig Schilling in der Tasche, sie trinkt in einem Bahnhofslokal ein paar hundert Schritte stadtauswärts, unter einem Blechschild mit Hirsch und Hubertuskreuz, eine Kanne Tee, isst eine Suppe, ein paar Trinker starren sie an und unterhalten sich in breitem Wienerisch über sie, so als wäre sie ( die Urschel doda, wo homs denn die außelassn ) gar nicht da. I glaub in Schönbrunn hob i’s amol gsegn. Bei die Offn, oda wos? Naa, bei die Hyänan. Sie wird nicht gehen, sie wird hier sitzenbleiben, was ist in den letzten Tagen mit ihr geschehen, nicht genug, um sie zum Weglaufen zu bringen. Oba an feschn Oasch hod de Urschl, des muas ma sogn. No wüüstas zuwepfeifn, de Madame? Glaubst mia homs ins Hirn gschissn, do reiß i ma liawa an owa. Sie bleibt bis tief in den Nachmittag hinein in dem Lokal, Pfiati, Prinzessin , sagt einer der Männer, ein Typ mit grauem borstigem Haar und über den Gürtel hängendem Bauch zu ihr, als er das Lokal verlässt, sie schaut ihn nicht an, schaut in ihren Tee; später bleibt sie lange auf dem Klo, die Tür ist fest versperrt, ihre Ausscheidungen sind weich und hell und ihr fremd und kommen aus ihr und niemand anderem als ihr. Einmal noch tanzen. Sie steigt in eine U-Bahn, die in die Innenstadt fährt, sie kann nicht so tun, als wüsste sie es nicht, sie kann nicht so tun, als würde sie den Geruch im Waggon nicht wahrnehmen und nicht wahrnehmen, was sie selbst zu diesem Geruch beiträgt. Füße sollen dich weiterkicken. Am Karlsplatz steigt sie aus, die Rolltreppen hinunter, durch einen schmalen Gang zwischen Werbeplakaten ( Machen Sie den Sprung … zur Volksbank ) um ein paar Ecken und dann die Rolltreppen wieder hinauf zur Passage, die voll von Polizisten ist, die Junkies lungern unbeachtet in den Ecken, draußen im Park laufen noch mehr Polizisten herum, allein und in Zweiergruppen, in
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