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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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groß auf dem Transparent über dem Eingang zur Akademie, die Polizeiautos beginnen Leute anzustupsen (so scheint es ihr), eine Frau hüpft kreischend fort, der Wagen fährt einen anderen Demonstranten an, sie stellt sich vor, wie dieser Mann (du siehst sein Gesicht vor dir) ins Stolpern kommt und von dem Bus überrollt wird, sie hört die Schreie vor sich, das Knirschen, sieht vor sich, was von dem Mann übrigbliebe, der Mann geht weiter, sie hört laute Buhrufe, die Polizeiautos stoppen (wo ist die Gegenwart, sie sieht nur mehr die Zukunft vor sich, eine ekelhafte Zukunft), ungefähr zwanzig Polizisten stellen sich vor den Demonstranten auf, breitbeinig, die Visiere ihrer Helme heruntergezogen, mit Schlagstöcken in den Händen. Es ist seltsam still, gleich könnte jemand versuchen, die Polizisten zu überrennen, gleich könnte jemand versuchen, in einen dieser Mannschaftwagen, die fast leer, mit laufendem Motor, dastehen, einzudringen oder sie umzuwerfen oder sie anzuzünden; sie könnte das versuchen; gleich könnten die Polizisten losschlagen oder losschießen; sie könnte an einen Polizisten herantanzen (kannst du noch tanzen?), ihm die Waffe aus dem, wie nennt man das, Holster ziehen, bevor er noch gemerkt hat, dass sie da ist, sie könnte zielen, die Waffe auf ein Gesicht richten, sie hat noch nie geschossen, sie weiß, wie es geht, sie weiß, wo Menschen verletzbar und tötbar sind. Die Demonstranten rücken enger aneinander, wie ihr scheint; ein einziges hirnloses, ängstliches Tier; Schritt für Schritt gehen sie weiter, plötzlich ziehen die Polizisten ab, einige springen zurück in die Wagen, die nun mit quietschenden Reifen um die Ecke in eine Seitengasse abbiegen, einige machen sich paarweise zu Fuß auf den Weg. Sie geht nicht mit den Demonstranten mit, sie hat weniger denn je mit diesen Leuten zu schaffen.
    Sie denkt an das Gesicht ihrer Schwester, die jetzt durch irgendeine dieser Straßen läuft und sich vielleicht für eine Demonstrantin hält und vielleicht nicht mehr. Jemandem nahezukommen ist ein Angriff. Jemandem ins Gesicht zu sehen ist ein Angriff. Sie denkt nicht an ihre Schwester als eine andere Person, an die Person, die ihre große Schwester war und die sie zurückgelassen hat mit der Art von Leben, in die sie nicht mehr zurückwill (was für eine Schande, in einer Wohnung zu wohnen, durch Fenster auf die Welt zu schauen), sie denkt nicht an eine andere Person. Die Frau, die sie gesehen hat, erscheint ihr wie ein Spiegelbild, so allein unter anderen, nicht mehr ihre große Schwester, ein ganz leicht verschobenes Spiegelbild. Die Leere dieses Gesichts, dieses Gesicht wie eine Wand, eine Leere, in der sie unterkommen kann.
    Er wartet, ob Pre ihn doch noch aus der Wohnung wirft, aber er hört wochenlang nichts von ihr. Überhaupt läutet wochenlang nicht das Telefon, niemand scheint ihm etwas verkaufen zu wollen, in der Post sind nur irgendwelche Zeitschriften, adressiert an Dr. Sylvia Pregartner, er legt sie irgendwo ab. Keine Nachrichten aus der wirklichen Welt, sagt er sich. Er ist nun also unbeobachtet, angeschaut wird er nur aus den Fotos heraus. Er kauft Essen für sich ein und geht sonst nicht aus dem Haus, zwei Zimmer der Wohnung, der vergessenen Wohnung, das Bad und die Küche benützt er weiterhin, Pres Zimmer, denkt er, ist ihm verboten, Pres Zimmer ist vergessener als vergessen. Die Zimmer benutzen, das heißt, Gegenstände benutzen, die sich hier befinden, Möbelstücke, aber so als wären sie nirgendwo und er hätte sie gerade erst besorgt oder gefunden, sie trügen keine Spuren. Er ruft im Institut an und legt aus gesundheitlichen Gründen seinen Auftrag zurück, niemand wundert sich oder versucht ihm zuzureden. Einen Moment fragt er sich, ob sie überhaupt noch wissen, wer er ist. Er schaut sich auf Vimeo und YouTube Tanzvideos an, die meisten davon ganz furchtbar, entweder furchtbar amateurhaft oder furchtbar professionell und akrobatisch und in jedem Fall furchtbar bedeutungsschwanger, liest Artikel über modernen japanischen Tanz und lange ungelesene Bücher, die er aus den Regalen zieht und die ihm jetzt zu dem zu passen scheinen, was er sucht (Artaud, Tanizaki, Mishima, das Buch vom Dao und vom De), schaut die Fernsehprogramme durch, versucht zwei oder drei Mal zu masturbieren (dann scheint ihm, Pre könnte gleich in der Tür stehen oder sein toter Vater), studiert Kleinanzeigen im Falter . Was sucht er denn. Und als wer sucht er, doch nicht als er selbst.
    Einmal

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