Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
stößt er auf eine Adresse, die ihm absurd erscheint, Straßennamen und Postleitzahl klingen nach tiefster Pampa; er ruft die Nummer an und ist enttäuscht, als eine Männerstimme ihm antwortet; eine Stimme mit einem Akzent, den er unmöglich einschätzen kann, einem Akzent, der nicht nach Akzent klingt. Du fragst zögernd nach Kursen und findest es seltsam beruhigend, als der Mann sagt, dass es keine Kurse gibt. Tanzen kann ich Ihnen nicht beibringen. Du hast über Bekannte von ihm gehört, lügst du, und erwähnst, nach ein paar abgebrochenen Sätzen in diese und jene Richtung, die Namen von den Grabsteinen, es scheint dir wie ein Sakrileg. Der Mann am anderen Ende der Leitung schweigt lange, im Hintergrund hörst du ein merkwürdiges Zirpen. Das ist lange her, sagt er dann schließlich. Ich frage Sie nicht, was Sie möchten. Du wartest auf mehr, du wartest auf eine Einladung.
Wahrscheinlich ist es einfach so, dass sie nicht weiß, wo sie hingehen soll, vielleicht fahren schon keine U-Bahnen mehr, sie will nicht zu Leuten, die ihr den Blick verstellen, sie will nicht zurück in den Schuppen zwischen dem Fluss, der nur noch ein Rinnsal ist, und der U-Bahntrasse, nur deshalb bleibt Mona in der Zone, wo da und dort immer noch Demonstranten unterwegs und Polizeisirenen zu hören sind. Gleichzeitig scheint ihr, die Stadt würde sich rapide leeren und wäre viel ruhiger als sonst. Auch in den Lokalen wäre an diesem Tag im sogenannten Fasching niemand, die Stadt wäre gesetzlos und ruhig. Vielleicht sucht sie noch nach einer Regel und findet keine; keine Notwendigkeiten, nichts, das aus etwas anderem folgte, der Moment zerfällt zu endlos vielen Momenten, Möglichkeiten, die keinen Halt bieten. An der Ecke zur Schwarzenbergstraße schaut sie (sozusagen in ihre Schwester verwandelt oder in diejenige, die ihre Schwester gewesen ist) lange in die Auslage des Antiquariats Hartleben Inh. Dr. Rob , als könnten die Bücher sie einladen, in die andere Nacht hinter der Glasscheibe, einen stillen staubigen Raum voller Geschichten, die keinen angehen, und Wahrheiten aus anderen Zeiten, dann hört sie Schreie.
Ein paar Häuser weiter oben, vor dem koreanischen Lokal, das bereits geschlossen hat, steht ein Taxi mit geöffneten Türen, drei Männer in Jeans, Stiefeln und Motorradhelmen zerren an einer Frau und einem Mann, die versuchen, sich an den Nackenstützen der Vordersitze und an den Türrahmen festzuhalten, und laut um Hilfe rufen; der Taxifahrer sitzt, mit den Händen am Lenkrad, da und starrt, ohne sie zu sehen, Mona entgegen. Einer der Männer mit Motorradhelm hat eine Pistole in der Hand und hält sie auf die Frau gerichtet. Hinter dem Taxi steht ein Polizeiwagen mit angeschaltetem Blaulicht, die Polizisten stehen seltsam unbeteiligt um das Taxi und die Männer in den Motorradhelmen herum, denen es jetzt gelungen ist, die beiden Leute aus dem Taxi und in einen Hauseingang zu ziehen. Sie sieht, wie einer der Männer zu einem Schlag ausholt, dann ist ihr die Sicht verstellt, weil die Straße plötzlich vor Menschen wimmelt und von irgendwoher sogar ein Kamerateam aufgetaucht ist.
Die Szene wirkt belebend auf sie, ihre Schritte werden sicherer, ihr scheint, sie sähe klarer: jeder Eindruck prägt sich dir ein, als sähest du alles zum letzten Mal. Eine spielerische, beglückende Vorstellung: alles zum letzten Mal zu sehen, zu tun, zu denken. Jeder Augenblick im Glanz einer Bedrohung, es ist eine Art von Liebe, es ist der pure Hass. Sie gleitet durch die Menschen hindurch, die Polizisten schirmen den Hauseingang ab, die Kamera filmt, eine Männerstimme fragt immer wieder, Wer leitet diesen Einsatz, wer leitet diesen Einsatz, ein Polizist sagt mit schnarrender Stimme, als könnte er selbst gar nicht mehr sprechen und ein Tonband würde ihm zu Hilfe kommen, Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen, bitte gehen Sie weiter. Was ist hier los, sind das Polizisten, warum werden die Leute festgenommen. Es handelt sich um eine ordnungsgemäße Amtshandlung, gehen Sie weiter. Warum werden die Leute festgenommen, warum sind diese Polizisten vermummt. Widerstand gegen die Staatsgewalt, gehen Sie weiter, stören Sie nicht die Amtshandlung.
– Kann ich wegfahren, schreit der Taxifahrer, wenn Sie mir schon die Fuhr’ wegnehmen, ich muss mir mein Geld verdienen.
– Halt die Goschen und schleich dich, ruft ihm ein Polizist zu.
Das Taxi fährt, mit quietschenden Reifen, scharf an. Sie sieht die verhaftete Frau, die einen Schal um den
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