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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Stangl
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stehend, starrt sie an, als sie langsam, Schritt für Schritt, mit bei jedem Schritt halb einknickenden Knöcheln und unter ihren dünnen Sandalen knirschendem Kies, näher kommt, kreidebleich im Gesicht, und scheint sie für einige Momente gleich wieder fortschicken zu wollen. Als wärst du ein Gespenst, nein, der Teufel selbst. Sie schaut sich um. Wie schrecklich ordentlich sieht dieser Garten nun aus, wie klein und restlos überschaubar.
    Zunächst teilt er die Stadt in Zonen auf, als käme der Ort vor dem Menschen, aber er weiß, dass er den Garten über die Frau finden wird, nicht die Frau über den Garten. Vielleicht bereitet er einen Treffpunkt vor, vielleicht spielt er mit der Idee, es müsste Schwellen für ihn geben, damit sich die Szenerie der Welt für ihn belebt wie für ein Kind. So hat die Geschichte doch angefangen, mit seinen U-Bahn-Fahrten, so hat er doch wieder gelernt, Angst zu haben.
    Er vermeidet, wenn er sich durch die Stadt bewegt, die Gegend des Gürtels zwischen Gumpendorfer Straße und Thaliastraße, er vermeidet die Gegend des Pratersterns, er vermeidet die Westbahnstraße, wo er vorgeblich wohnt und seitdem einen schwer einschätzbaren Doppelgänger von sich vermutet, außerdem alle Orte, wo Pre auftauchen könnte (Galerien, Theater, Cafés, Straßen der Innenstadt und des vierten und achten Bezirks, wo Freunde wohnen, an die er sich erinnert).
    Manchmal fühlt er sich so allein, dass ihn die Angst packt, alle anderen Leute würden immer nur dann eingeschaltet, wenn sie in sein Sichtfeld kommen. In Wahrheit gäbe es niemanden mehr (sein geheimer Wunsch wäre in Erfüllung gegangen, nichts schlimmer als das). Die Figur, an die er sich klammert wie kaum je an einen Menschen, wäre von unbestimmter, kaum menschlicher Natur.
    Wenn er schon verabsäumt hat, die Tänzerin nach der Vorstellung anzusprechen (er wäre sich komisch dabei vorgekommen, wie jemand aus dem 19. Jahrhundert, der in einer vagen Hoffnung der Künstlerin Blumen darreicht, oder andererseits wie der düstere Agent einer Verschwörung, die ihm selbst kaum bekannt ist; umso erbärmlicher seine nebulosen und zweideutigen Warnungen, er gehört mit einem Tritt aus der Garderobe gejagt, in die er allerdings auch gar nicht vorgelassen würde), so muss er nun, da er ihren Namen kennt und eine Website, die allerdings nicht ihre, sondern die ihres Veranstalters ist, noch einmal den indirekten Weg suchen. Über anderes schreiben als das, was er schreiben will. Etwas Vages, nicht zu Dummes, an das ihn ihr Spiel (wenn es ein Spiel war) erinnert hat. Wenn es niemanden anderen mehr gibt, das Mail muss so ausfallen, dass es die Frau geben wird, die es zu Gesicht bekommt. So dass sie antworten muss. Es darf nicht klingen wie das Mail eines alten Arschlochs (als das er sich fühlt), es muss interessant genug sein, um an sie weitergeleitet zu werden.
    Ist es zu viel an Andeutung, wenn er schreibt, dass er (der von Tanz nichts versteht) durch ein Spiel auf sie gestoßen ist, das man in erweitertem Sinn auch als einen Tanz (mit der Stadt als Bühne und, soweit er weiß, ohne Publikum) auffassen kann? Ist es zu viel, wenn er schreibt, er glaube, dass sie beide die Überzeugung teilten, im Dunkel der eigenen Kindheit lauere etwas Unbekanntes, dem sie sich auf die eine oder andere Art, künstlerisch oder (sie möge ihn nicht missverstehen, er weiß, dass dies weniger und nicht mehr bedeutet) auf bloß existenzielle Weise näherten?
    Alles, was er schreibt, muss von einem Punkt am Rand des eigenen Lebens aus geschrieben sein, von einem Punkt, den er eigentlich gar nicht erreicht hat, den erreicht zu haben er aber vorgeben muss. Es ist nicht so, dass er aufhören muss mit seinem eigenen Leben, um ein Recht auf diese Geschichte zu haben und nicht bloß der Betrüger, Voyeur und Leichenschänder zu sein, er braucht nicht niemand zu sein, aber er darf auch nicht wichtig sein. Er muss sich am Rand seines eigenen Lebens aufhalten. Er ist nicht wichtig. Das muss in jeder Zeile durchscheinen.
    Er hofft, dass dieses Mail sie unvorbereitet trifft; sicher kann er sich nicht sein. Tagelang wird er mit einer Unruhe, als wäre er verliebt, seinen Computer einschalten; er wird sogar fürchten und halb erwarten, jemand (nicht die Frau, aber jemand, der zum Spiel gehört) könnte an der Tür stehen, das Telefon könnte klingeln, die Sache würde eine unerwartete Wendung nehmen.
    Die ersten Monate übt sie zu Hause, sozusagen heimlich, aber was heißt schon heimlich,
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