Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
wer sie ist. Sie schaut auf seine Brust, die sich hebt und senkt, die rührend zwecklosen kleinen Brustwarzen, den rührend zwecklos wirkenden Penis mit den sich blau wie kleine Flüsse auf einer Landkarte schlängelnden Adern unter der Haut. Er schlägt die Augen auf, versucht zu lächeln, sie lächelt ihn an. Er bleibt ganz still liegen, sie bleibt ganz still sitzen, in ihrem blauen Kleid, ihrem weißen Hemd, auf seiner Liege aufgestützt, ein Bein ausgestreckt. Das Sirren von Zikaden, ein Geruch nach hohem Gras, nach frischem Schweiß, nach Chlor. Die Sonne breitet ihr Licht über den Garten, der Nachmittag kann endlos erscheinen. Er schließt wieder die Augen, er gehört zu diesem Garten, nicht zu einem Menschen, lebend oder tot, er schwimmt in diesem Licht, unter diesen Blicken. Er wird nur daliegen, sie nicht berühren, so als wäre sie seine Erfindung, diese Frau, dieses Mädchen. Diese Frau, dieses Mädchen spürt das Pulsieren in ihrer Hand, die seinen rührend zwecklosen Penis umfasst hält, wie den Herzschlag eines kleinen nackten Tieres.
In der Frau erkennt er, während er tiefer in den Schlaf sinkt, die Tänzerin im zerschlissenen Herrenhemd wieder, aber er ist nicht sicher, ob es Monica Stanek ist oder ihre Schwester, er ist sich nur sicher, dass er, in der Zeit, in der diese Szene spielt, mit der Schwester dieses Mädchens, dieser Frau (deren Alter so schwer bestimmbar scheint) zusammen ist. Er war schon öfters hier, aber nicht allzu oft. So schwer bestimmbar wie das Alter dieses Mädchens oder dieser Frau ist die Zeit, in der die Szene spielt; wenn sie nicht in zwei Zeiten spielt, der Zeit der Fotos gegen Ende des letzten Jahrhunderts und irgendwann in der nahen Zukunft, wenn er die Tänzerin gefunden und Pre und vor allem sich selbst vergessen hat (dieser Körper ohne Namen und Alter, dieses schöne lebende Ding bist du). Sie sprechen, und er weiß genau, welches Thema er vermeiden muss, um zu bleiben, wer er ist, zart, beinahe unsichtbar, ein Bruder und Geliebter (niemand könnte sagen, ob Bruder oder Geliebter, denn es gibt nichts außer dieser Szene und den Vermutungen, Sehnsüchten und falschen Erinnerungen, die diese Szene auslöst); sobald von den Fotos die Rede ist, wird die Frau die Hand zurückziehen, aufstehen, den Tonfall wechseln; das Licht wird sich ändern und er wird nach einem Handtuch oder Bademantel greifen, weil er merkt, dass alle Selbstverständlichkeit verlorengegangen ist und dass er jedes Recht auf seinen Körper verloren hat.
Es ist eine beständige Anspannung, den Mann auf der Liege, der er selbst ist, daran zu hindern, ein falsches Wort zu sagen. Er weiß, dass er gerade eingeschlafen ist; es ist eine beständige Anspannung, das Aufwachen zu vermeiden. Der Sonnenschein vom Balkon her (als wäre nicht dahinter nur eine Hausmauer), durch die offene Tür, stört ihn. Ein Speichelfaden läuft aus seinem Mund; der Fußboden knackt, und er erschrickt. Sein Glied ist erigiert; er weiß, noch als er längst wach ist, dass es diesen jungen Mann auf der Liege in einem Garten im Süden oder auch in irgendeiner blödsinnigen Gemeinde nahe von Wien wirklich gibt; dass es diesen Mann, der er selbst ist, gibt, seinen weichen pulsierenden Penis und das Licht auf seiner Haut, weil es diese Frau oder diese Doppelfigur von Frauen gibt, das Licht auf ihrer Haut, ihren Blick, in dem er untergeschlüpft ist. So alt wie in diesem Moment hat er sich noch niemals gefühlt. Er muss sich eine Strategie ausdenken, er darf nicht aufgeben.
Es kann doch nicht sein, dass Mona tot ist, hört sie sich sagen, warum redet sie vor diesem fremden Mann, der diesmal nicht erschrocken dreinschaut, sondern ihr gegenübersitzt wie eine weiße Wand (die Wand selbst ist nicht weiß, das Regal hinter ihm in einer Kammer neben oder unter der Küche ist vom Boden zur Decke vollgeräumt mit Bleistiften in Bechern, Spielfiguren in Rot, Weiß und Gelb, ineinandergestapelten Gläsern, grünlichen Schachteln mit halboffenen Deckeln, Schlüsselanhängern, Puppenköpfen, Filmdosen, in denen Pinsel oder Büroklammern stecken, Korken, Kaffeekannen, Bonbons, Stößen von mit Schleifen zusammengebundenen Zetteln und so weiter und so fort), ihr gegenübersitzt, als säße er gar nicht da, warum erzählt sie ihm sogar von ihrem Vater und den Fotos, die ihr Vater, bevor er in den Wald ging, um sich aufzuhängen, gemacht hat, statt zu sprechen, hinter seiner Kamera verschanzt, als würde er undurchdringliche Glaswände durch den
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