Regenbogen-Welt (German Edition)
verstummte aber augenblicklich wieder, als das Heulen erneut ertönte.
„Gespenstisch”, flüsterte Jabani.
„Allerdings”, tönte es aus Shashs Fell und Tuc wühlte sein
kleines Köpfchen hervor.
Das Geräusch von Ishtars sirrenden Flügeln floss zu ihnen herüber
und wurde lauter. Und wenig später stand der Libellen-Mann vor ihnen. Er rang
nach Atem und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.
„Und?”, fragte Saha ungeduldig. „Hast du etwas gesehen?”
Shirkan warf ihr einen erbosten Blick zu. „Musst du ihn so
drängen? Du siehst doch, dass er völlig außer Atem ist.”
Ishtar machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist schon gut”,
keuchte er. „Ich habe gerade etwas sehr Gespenstisches beobachtet.”
„Dann erzähle schon!” Saha konnte sich nicht mehr beherrschen.
Ishtars zärtlicher Blick streifte sie. Er liebte ihre
Temperamentsausbrüche. Nur widerwillig löste er sich von ihrem Antlitz. Sein
Blick wanderte weiter zu Azaa und Uhura. „Ich habe eine Versammlung merkwürdiger
Tiere beobachtet, die den Mond anheulten.”
„Du hast was ?”, fragte Azaa und glaubte ihren Ohren nicht
zu trauen.
Ishtar erzählte ihnen die Geschichte haarklein. Er würzte sie
bewusst mir einer Prise Dramatik. Schilderte das Rudel grauzotteliger Gestalten
mit den schwarzen Gesichtsmasken in allen Einzelheiten und schloss mit den
Worten: „Sie hatten unheimliche gelbe Augen und heulten den Mond an. Unter
ihnen ein besonders großes und prächtiges Exemplar. Er ist wohl der Anführer.
Die Anderen nannten ihn Maiitsoh oder so ähnlich.”
Ein Keuchen ertönte. Gefolgt von einem dumpfen Knall. Saha hätte
es nie für möglich gehalten, Azaa ohnmächtig zu sehen. Aber sie sah es. In
diesem Moment. Die Spinnen-Frau lag auf dem Rücken, streckte alle Beine in die
Luft und gab ein urkomisches Bild ab. Die Freunde sahen sich eine Weile an und
lachten dann los.
„Dass ich das noch erleben darf.” Hazee hielt sich den Bauch.
Auch Saha und Barb konnten sich kaum beruhigen. Besonders als sie sahen, dass
Azaa langsam wieder zu sich kam. Die Spinne schüttelte den Kopf, stöhnte ein-,
zweimal, schüttelte wieder den Kopf und rappelte sich auf.
„Hey, Azaa, wieder unter den Lebenden?”, zog Shash sie liebevoll
auf und erntete dafür strafende Blicke von Uhura und Kasur. „Schon gut, schon
gut.” Der Bär hob beschwörend die Tatzen.
„Was ist los, Azaa?”, wollte Uhura besorgt wissen.
Azaa schluckte. Dann blickte sie Ishtar an. „Sie nannten ihn
wirklich Maiitsoh?”, fragte sie mit tonloser Stimme.
Ishtar nickte. „Und was ist daran so furchtbar, dass du uns
ohnmächtig vor die Füße sinkst?”
Azaa setzte sich auf einen Stein. Alles Leben schien aus ihr
gewichen. Ihr Gesichtsausdruck war wie versteinert. „Maiitsoh, der Große Wolf,
es gibt ihn also wirklich.”
„Wolf? Was ist ein Wolf?”, wollte Tuc wissen. Er hatte den
sicheren Platz in Shashs Fell verlassen und saß neben Azaa auf dem Stein. Ein
kleiner schwarzer Käfer mit gelben Leuchtpunkten. Ein rührendes Bild.
„Wölfe gehören zu der Familie der Hunde. Sie ...”, begann Azaa.
„Hunde sind doch die bedauernswerten Kreaturen, die von den Menschen ihrer
Freiheit beraubt wurden und dazu verdammt waren, mit ihnen zu leben, nicht
wahr?” Saha blickte Uhura fragend an. Die Eule nickte.
„Wölfe gehören also zur Familie der Hunde oder umgekehrt”, fuhr
Azaa fort. „Sie leben und jagen in Rudeln und sind Geschöpfe der Nacht.”
„Hört sich sehr gespenstisch an.”
„Das sind sie auch. Ich möchte ihnen nicht unbedingt über den Weg
laufen.” Azaa schüttelte sich.
Nachdem sie scheinbar endlos diskutiert hatten, legten sie sich
wieder zur Ruhe. Doch Azaa und Saha fanden keinen Schlaf. Sie waren beide zu
aufgewühlt. Azaa hielt die Augen geschlossen und täuschte die Schlafende vor.
Das gelang Saha nicht. Sie sprang auf, lief ziellos im Kreis herum und lauschte
Maiitsohs lang gezogenen Wolfsliedern, bei denen ihr das Blut in den Adern
gefror, so unheimlich klangen sie. Aber irgendwie sprachen sie Saha auch an.
Sie wusste nicht, ob es morbide Faszination war oder was sonst, aber Maiitsohs
schaurige Klagelaute machten sie noch unruhiger, als sie ohnehin schon war.
Entsetzt bemerkte sie, dass sie nichts mehr wollte, als den Großen Wolf kennen
zu lernen.
Ihn und seine mystischen Lieder.
Sie folgten weiter den Wegen der Mammutherde. Immer begleitet von
Maiitsohs nächtlichem Geheul. Nach Tagen erreichten
Weitere Kostenlose Bücher