Regenbogen-Welt (German Edition)
Laut zu hören.
Natürlich, dachte Saha, ist es hier totenstill. Wer sollte hier
auch noch sein? Ihr lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Sie dachte
an Draguignan, die Drachenstadt, und andere Relikte der untergegangenen
menschlichen Rasse. Auch an die Möglichkeit, dass einige ihrer Freunde einst
auf der Erde gelebt hatten oder deren Vorfahren. Wer hatte diese Zeitzeugen
einer anderen Kultur in die Regenbogen-Welt gebracht? Und warum?
Shash war mittlerweile in der Öffnung verschwunden. Die
Dunkelheit hatte seinen mächtigen Körper völlig verschluckt. Sahas Fuß schwebte
bereits über der Schwelle, als die Stimme des Bären dumpf aus dem Inneren der
HOPE drang.
„Das müsst ihr sehen!” Die Begeisterung in seiner Stimme war
unüberhörbar.
Saha fragte sich, wie Shash überhaupt etwas sehen konnte, und da
flackerte auch schon ein Licht auf. Künstlich-grell schmerzte es in den Augen.
Saha hielt schützend die Hand davor. Aber das war nicht mehr nötig. Das Flackern
hörte auf und das Licht stabilisierte sich. Saha trat durch die Öffnung. Barbs
Hand lag plötzlich in ihrer. Saha umschloss sie und blickte sich um. Die
Anderen folgten ihr mit ernsten Mienen.
Nach einigen Minuten hatten sich ihre Augen an das bläuliche
Licht gewöhnt. Es drang aus hellen, weißen Röhren, die an der Decke der HOPE
befestigt waren.
Von Shash war weit und breit keine Spur. Auf der Suche nach ihm
gingen Saha und Barb staunend einen breiten Gang entlang, der auf beiden Seiten
von gläsernen Laborräumen gesäumt wurde. Eine Vielzahl von Eindrücken wirkte
auf sie ein. Nur im Unterbewusstsein fühlte sie, wie Barbs Hand aus ihrer
glitt. Die Freundin ging stumm neben ihr her. Ihr künstlerisch geschultes Auge
nahm jede Einzelheit freudig auf. Die fremdartigen Gerätschaften,
Einrichtungsgegenstände und das Ambiente. All das ließ ihr Künstlerherz höher
schlagen.
Sie war bereits völlig in dieser Welt gefangen. Und nicht nur
sie. So ging es auch den Anderen. Uhura und Jabani flatterten aufgeregt durch
den Gang und in die einzelnen Räume. Es war wieder Shash, der ihrer aller
Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Stimme erklang.
Nicht mehr ganz so dumpf, aber dennoch entfremdet, aus einem der
hinteren Räume. „Kommt mal schnell her. Das ist unglaublich! Das gibt es doch
nicht.”
Shash hatte Recht. Es war unglaublich.
Der hintere und auch größte Raum, der bezeichnenderweise aus
dunkelgrauen, nicht einsehbaren Glaswänden bestand, glich einem Gruselkabinett.
In Regalen standen Gläser mit bunten Flüssigkeiten, in denen kleine
menschenähnliche Wesen schwammen. An den Wänden hingen Tafeln, auf denen
Notizen vermerkt waren. Ganz so, als ob im nächsten Moment die Wissenschaftler
hereinkämen, die dort gearbeitet hatten. Ansonsten glich der Raum einer
Ansammlung gläserner Behälter, in denen alles Mögliche konserviert worden war.
Shirkan gab einen Laut von sich, der an ein zu Tode erschrockenes Tier
erinnerte. „Beim Großen Geist!”, entfuhr es ihm. „Das sieht ja wie ein
menschliches Ersatzteillager aus.” Er deutete auf die größten Gläser. „Das sind
Embryonen ... und einzelne Organe ...” Er betrachtete sie näher und das
Entsetzen auf seinem Gesicht uferte aus. „Da sind sogar ausgewachsene Säuglinge
... lebensfähige Säuglinge.”
Shirkan taumelte, als habe ihn ein heftiger Schlag getroffen. Er
hielt sich an einem Regal fest und murmelte erneut: „Großer Geist!”
„Der kann dir auch nicht helfen.” Shash erschien in einem Gang.
Er wedelte aufgeregt mit der Tatze. „Komm erst einmal in den hinteren Teil,
Shirkan. Ich schwöre dir, den Anblick wirst du dein Lebtag nicht vergessen!”
Shash hatte nicht übertrieben. Shirkan stützte sich schwer auf
Saha und Barb. Sie hatten ihn in die Mitte genommen. Shirkan war um Jahre ...
nein, Jahrzehnte gealtert.
Dann sahen sie es.
Es war grauenhaft.
An einer Wand standen Glaskäfige, die bis an die Decke reichten.
Darin standen, ebenfalls konserviert, Menschen. Menschen verschiedenen Typs.
Alle von überragender Größe und muskulöser Gestalt. Einige von ihnen trugen
deutlich animalische Züge. Waren eine perfekte Symbiose menschlicher und
tierischer Genmanipulation. Anderen stand die angezüchtete Feindseligkeit und
Kampflust deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber Saha blickte auch in
einfältige, leere Augen, und das war noch grausamer. Am Ende der gespenstischen
Reihe war ein Doppelbehälter, in dem ein Paar stand. Die Frau von
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