Regenbogen-Welt (German Edition)
Freunden über den sandigen Boden. „Je höher wir in die
Regenbogen-Welt aufsteigen, desto deutlicher wird der Dualismus aller Dinge.
Auch der in uns. So auch das Gute und das Böse. Und wir müssen auf der Hut
sein, denn das Böse schläft nie!”, zischte sie nervös.
Saha fragte sich, was die giftgrüne Schlange damit meinte,
forschte aber nicht weiter nach. Sie konzentrierte sich wieder auf die
Landschaft und die Gefühle, die in ihr aufstiegen, wenn sie über das Wasser in
die Unendlichkeit blickte. Dabei versäumte sie es nicht, Barb aus den
Augenwinkeln zu beobachten. Sie spürte deutlich, dass die Freundin von
ambivalenten Gefühlen geplagt wurde und fragte sich, woher diese rührten. Sahas
Blick löste sich wieder von Barbs Gesicht und irrte unstet weiter. Wenn sie
ehrlich zu sich war, wusste sie eigentlich nicht, wonach sie suchte. Ihr Blick
schweifte weiter zu Maiitsoh. Der Große Wolf sah sie durchdringend an.
Erwiderte bewegungslos ihren Blick. Es ärgerte Saha über alle Maßen, dass es
ihm immer wieder gelang, sie durch nur einen einzigen Blick zu verunsichern.
Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken und meinte ein amüsiertes Funkeln in
seinen Augen zu sehen. Das machte sie noch wütender.
Sie kämpften sich weiter durch das immer undurchsichtiger
werdende Dickicht. Gönnten dem herrlichen Farbenspiel der Natur nur flüchtige
Blicke. Dabei hielt diese ihr prächtigstes Schauspiel für sie bereit. Perfekt
aufeinander abgestimmte Farbtöne. Doch Saha und ihre Freunde nahmen sie nicht
wahr. Sie stapften im schnurgeraden Marsch hinter Maiitsoh her. Schweigend und
von der Frage beherrscht, was sie erwartete. Niemand gab einen Laut von sich.
Außer dem gelegentlichen Schnaufen, das Dahsani kurzatmig ausstieß. Er hatte
wieder einmal Schwierigkeiten, dem Tempo der Freunde zu folgen. Hatte sich
immer noch nicht an deren Laufschritt gewöhnt.
Als die Schatten länger wurden, erreichten sie das Verlorene Tal.
Sie waren immer den beiden verschlungenen Silberbändern der Flüsse gefolgt und
erst stehengeblieben, als es nicht mehr weiterging. Die Erde fiel steil vor
ihnen ab. Endete plötzlich. Die ebenen Wasserspiegel der Silberflüsse brachen
und stürzten tosend in den Abgrund. Donnerten vereint in einem Wasserfall zu
Tal. Das brausende und dröhnende Lied übertönte alles und war schon von Weitem
zu hören. Zeigte deutlich die Urgewalt des flüssigen Elements.
Fasziniert standen Saha und ihre Freunde an dem Abgrund und
blickten hinab. Das herabschießende Wasser gab eine ungeheure Energie frei.
Wild und ungezähmt stürzte es zu Tal. Saha hielt das Gesicht zum Himmel, fühlte
vereinzelte Tropfen auf ihrer Haut, die der Wasserfall auf sie herabregnen
ließ. Die eifrige Sonne spannte ein Regenbogenzelt über ihn. Umtanzt von einem
feinen Wasserschleier. Sahas Hals schnürte sich zu. Der Anblick hatte etwas
unwirklich Schönes. Etwas Überirdisches.
Es ist überirdisch , durchzuckte sie diese Stimme, die
jetzt immer häufiger in ihr laut wurde. Saha konnte sich einfach nicht daran
gewöhnen. Sie sträubte sich gegen die unbekannte Größe, die sich in ihr
ausbreitete. Schließlich war sie es nicht gewohnt, sich unterzuordnen. Aber sie
ahnte längst, wie aussichtslos es war, dagegen anzugehen, und hatte Angst, dass
ihr Wille gebrochen würde.
Saha verfolgte mit ihren Blicken den Verlauf des Wasserfalls, der
in einem meerähnlichen Gewässer endete. Tioto hatte Iman es genannt. Es bildete
das lebensspendende Herz des Tals, in dem auch der Hüter der Ewigen Jagdgründe
leben sollte.
Dort war die Dritte Welt.
In den Ewigen Jagdgründen, aus denen es keine Wiederkehr mehr
gab. Das Jenseits, das keinen mehr freigab. Und doch wollten es Saha und ihre
Freunde riskieren. Wollten den Hüter der Ewigen Jagdgründe aufsuchen, von dem
Azaa und Shirkan so oft erzählt hatten. Den Mann, der der Garant für den
Aufstieg in die Vierte Welt sein sollte.
Eine große, dunkle Wolke verhüllte plötzlich den Himmel. Saha
fragte sich, ob es ein Omen war. Ein schlechtes Omen.
„Wie sollen wir bloß hinunter in das Tal kommen?”, fragte Shash
in diesen pessimistischen Gedanken hinein.
Saha schloss die Augen. Wie sich gewisse Dinge doch wiederholen,
dachte sie. Schon einmal hatten sie an einem Abgrund gestanden und sich gefragt,
wie sie hinunterkommen sollten. Saha dachte an den ausgehöhlten Baumstamm, der
ihnen als Gefährt gedient hatte. Ihr Blick schweifte suchend über das Wasser,
erfasste das angrenzende
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