Regenbogen-Welt (German Edition)
auf die
Freunde zuflog. Saha spürte zwar den leichten Luftzug, als er neben ihr
landete, aber ihr Blick hatte sich an Azaa geheftet. Die Spinnen-Frau hatte
ihren Flug direkt über der Mitte des Lochs verlangsamt und stand praktisch in
der Luft. Sahas Herz überschlug sich, als sie sah, wie Azaa zu wachsen begann.
Zu einer unvorstellbaren Größe.
Wie eine groteske Riesenspinne schwebte sie über dem Loch. Ihr
Schatten verdeckte es fast. Dann schossen Fäden aus ihrem Leib. In einer
Geschwindigkeit, die Sahas Augen nicht mehr wahrzunehmen vermochten. Sie hörte
die Reaktionen ihrer Freunde, die erschrockene Laute ausstießen, mit den Armen
fuchtelten oder einfach nur stumm das Schauspiel beobachteten.
Und dann schrie auch Azaa.
Schmerzerfüllt, aber dennoch triumphierend.
Die Fäden hüllten das Loch mittlerweile vollends ein. Sie waren
von klebriger Beschaffenheit und umschlossen es so bereitwillig wie ein längst
auserkorenes Opfer. Saha dachte bei dem Anblick an ihre Erlebnisse mit dem
Großen Wasserwesen in der Muschelstadt. Dort waren Azaas Fädenfesseln nicht von
dauerhaftem Bestand gewesen. Aufgebracht zupfe sie an Ishtars Ärmel. „Wird das
Netz um das Loch halten?” Der Zweifel in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Ishtar nickte. „Unter normalen Umständen, ja.”
„Was soll das denn heißen?”, wollte Saha unwillig wissen.
„Das heißt, wenn nicht wieder irgendwelche Dummköpfe ihr Unwesen
treiben, bleibt das Loch verschlossen.”
Saha atmete erleichtert auf. “Das ist gut!”
Ishtar verzog traurig das Gesicht. „Das ist auch die letzte
Chance. Beim nächsten Mal wird es keine Azaa mehr geben.”
Der schrille Aufschrei der Spinnen-Frau bestätigte seine Worte.
Azaa taumelte. Bäumte sich noch einmal auf und brach dann zusammen. Blieb wie
ein Mahnmal auf dem Gespinst liegen. Ihre Kräfte waren verbraucht und damit ihr
letzter Lebensfunke. Es war Zeit, aus dieser Welt zu scheiden. Sie hatte genug
gesehen. Gutes und weniger Gutes. Sie war alt, zu alt. Allzu lange zu leben,
schadete nur. Sie schloss die Augen, schickte den Freunden gedanklich einen
letzten Gruß und begab sich in die sanfte Umarmung des Todes. Es stimmte sie
heiter, denn sie wusste, sehr viele Freunde warteten bereits am anderen Ufer
des Seins auf sie.
Allen voran Shirkan.
Das Entsetzen über Azaas Tod war so schnell nicht gewichen. Sie
kannten die Spinnen-Frau noch nicht so lange, dass ihr Tod den gleichen Schmerz
wie Shirkans hervorrief, aber dennoch waren Saha und ihre Freunde wie betäubt.
Sie fassten sich an den Händen und legten eine stille Gedenkminute ein. Danach
verbeugten sie sich vor dem Gespinst, auf dem der leblose Spinnenkörper ruhte.
Schon kurze Zeit später hatte Seraphim sie zurück an den Baum
geleitet. Die Strahlen der tief stehenden Sonne ließen den Eisstamm wie ein
edelsteinbesetztes Diadem funkeln.
Seraphim blickte Saha an. „Ihr habt etwas Gutes vollbracht.
Bewahrt es euch. Azaa ist hoffentlich nicht umsonst gestorben.”
Saha ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie wusste nicht, was sie
darauf erwidern sollte. In diesem Augenblick spürte sie gar nichts. Einzig die
Frage beseelte sie, ob sich Azaa und Shirkan nun in einer anderen Dimension,
einer anderen Welt, wiedertrafen.
Ihr Blick streifte Seraphim.
„Du hast einen Wunsch frei”, sagte die Lichtgestalt. Als habe sie
Sahas Gedanken erraten, fuhr sie fort: „Einen Wunsch für die Lebenden. Shirkan
kann ich dir nicht zurückbringen.”
Saha seufzte und atmete tief durch. „Dann gibt es nur eins.
Schick Tuc eine Gefährtin!”
Saha wusste nicht, ob sie alles nur geträumt hatte, als sie
weitergingen. Aber in dem Augenblick, als Tuc aus Shashs Stirnlocke aufgeregte
Laute von sich gab und auf einen Stein deutete, auf dem ein Käferweibchen mit
gelben Leuchtpunkten saß, wusste sie, dass alles Realität war. Tuc rutschte in
rasantem Tempo den Körper des Bären entlang zu Boden und lief auf flinken
Beinen auf den Stein zu. Das Käferweibchen riss bei seinem Anblick die Augen
auf. Ein hoffnungsvoller Schimmer lag in ihrem Blick.
Barb wandte sich Saha zu. Ihre Augen blitzten die Freundin
glücklich an. Sie besaß die Fähigkeit, Saha so anzusehen, dass offensichtlich
wurde, wie reich sie an innerer Schönheit war. Ihr Blick hatte etwas
Einzigartiges.
Derweil schnatterten Tuc und das Käferweibchen aufgeregt aufeinander
ein. Dann drehte sich der kleine Käfer herum. In seinen Augen schimmerte ein
solches
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