Regenbogen-Welt (German Edition)
im
Gegenteil.” Sie gähnte ungeniert.
„Wer hat sie vernichtet?”, fragte Saha aufgeregt.
Die Eule gähnte erneut. „Das erzähle ich dir ein anderes Mal.”
„Das machst du immer wieder”, beschwerte sich Saha. „Wenn es
spannend wird, hörst du auf!” Sie stieß einen enttäuschten Laut aus, wusste
aber, dass es zwecklos war, Uhura weiter zu bitten. Deren Schnabel würde
geschlossen bleiben.
Nachdem die vorwitzigen Strahlen der Sonne am nächsten Tag die
Schleier der Morgendämmerung durchbrochen hatten, erwachte Saha. Neben ihr
schnarchte Uhura so heftig, dass die Äste bebten. Saha schaute die Eule
grinsend an, erhob sich leise und streckte sich. Machte ein paar Kniebeugen und
trat an das Ende des Astes. Sie glitt im eleganten Flug herab, an den Bäumen
vorbei. Schon bald sah sie Barbs leuchtende Flügel zwischen dem Grün. Es wurde
wirklich Zeit, der Freundin einen Besuch abzustatten. Immerhin gab es viel zu
erzählen. Saha schmunzelte. Sie konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als
Barb eine gefräßige Raupe war, die wahllos in dem Blattwerk des Baumes weidete,
in dem Sahas Eltern wohnten. Vollgefressen, hatte sie sich dann puppenhaft in
einen Kokon gesponnen und war somit Sahas neugierigen Kinderaugen entschwunden.
Dann war Barb als weicher, hilfloser Imago geschlüpft. Ihre Flügel hatten wie
kleine, gefaltete Fallschirme ausgesehen. Saha hatte von einem Baum aus die
ungelenken Bewegungen des kleinen Schmetterling-Mädchens beobachtet, das mit
hängenden Flügeln einen Stängel erklommen hatte. Dort war es erschöpft
sitzengeblieben und hatte so schutzlos gewirkt, dass Saha es am liebsten in die
Arme geschlossen hätte. Doch dann hatte sie mit wachsendem Erstaunen gesehen,
dass innerhalb weniger Zeit die Flügel des Schmetterlings gewachsen waren und
ihre volle Größe erreicht hatten. Für Saha war es ein Wunder gewesen. Und an
diesem Wunder hatte sie teilgenommen. Das hatte sie und das
Schmetterling-Mädchen zu Schwestern gemacht. Nach weiteren Stunden hatten
dessen Flügel ihre endgültige Festigkeit erreicht. Sie leuchteten in Farben,
die Saha noch niemals zuvor gesehen hatte. Das Schmetterling-Mädchen hatte ein
paarmal ungeübt damit geschlagen und so stolz seine Farbenpracht gezeigt, die
Saha immer noch einzuordnen versuchte. Aber es gelang ihr nicht. Die Farben
waren einzigartig. Und so jung Saha auch war, nicht viel älter als das
Schmetterling-Mädchen, wusste sie doch, dass sie Zeuge von etwas Besonderem
geworden war.
Neugierig war sie näher an den Stängel herangegangen, auf dem das
zarte Wesen saß, und hatte es ausgiebig betrachtet. Der Körper und das lange
Haar waren tintenschwarz und bildeten einen reizvollen Kontrast zu den
perlmuttfarben schimmernden Flügeln, deren Spitzen mystische Sterne zierten und
an deren unteren Rändern große Goldpunkte glitzerten. Die kleineren Flügel
darunter waren gar mit herzförmigen Punktformationen versehen. An den Spitzen
lauerten keck kleine Fühler, die mit schwarzen perlenförmigen Sinnesorganen
geschmückt waren.
Saha hatte nie etwas Schöneres gesehen. Aber auch niemals etwas
Fremderes. Deshalb gab sie dem Schmetterling-Mädchen spontan den Namen Barbara,
für fremd. Wandelte ihn aber im Laufe ihrer Freundschaft, die in dem Moment
geboren wurde, als die dichtbewimperten Augen sie ansahen, in die Koseform Barb
um.
„Hallo, Barb!”, trötete Saha lauthals und fuchtelte
temperamentvoll mit ihren Chitinarmen durch die Luft.
Barb drehte sich erfreut herum, als sie Sahas Stimme vernahm.
„Das wurde aber auch Zeit”, begrüßte sie die Freundin vorwurfsvoll. „Du hast
dich seit Tagen nicht blicken lassen. Bestimmt hast du wieder etwas
ausgeheckt.”
„Das ist ja wohl das Allerletzte.” Saha spielte perfekt die Empörte.
An ihr war ohnehin eine Schauspielerin verlorengegangen. „Ich bringe Ishtar und
Uhura dazu, mich in die Fünfte Welt zu begleiten, locke Iman magische Artefakte
ab und überrede sogar Shirkan, mitzukommen, und du ...”
„Shirkan geht auch mit? Das ist endlich mal eine gute Nachricht.”
Barb zog einen perfekten Schmollmund. „Nur ich armer Schmetterling muss hier
mutterseelenallein zurückbleiben.”
Saha hätte es beinahe von dem Stängel gefegt, auf dem sie saß.
„Was redest du da?”, fragte sie und vergaß völlig ihre gute Kinderstube. „Du
hast wohl einen gehörigen Knall. Natürlich gehst du mit.” Erst jetzt sah sie,
wie sich die Lachfältchen um Barbs Augen
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