Regina schafft es doch
nicht, wie ich es fertigbrachte, mit Frau Krüger vernünftig zu reden und eine neue Ladung Sternbilder abzuliefern – die hatte ich als Vorwand gebraucht, verstehst du, die Verlosung fängt ja in ein paar Tagen an. Ja, und von da aus kam ich gleich hierher.“
„Du bist so gut, Katrin!“
„Wenn ich es nur sein könnte, Regina! Wenn ich dir doch nur helfen könnte! Gibt es irgend etwas auf der Welt, das ich für dich tun kann?“
„Nein, Katrin. Jetzt nicht. Niemand kann etwas für mich tun.“
„Doch! Einen Menschen gibt es, der das kann: Gert. Hör zu, Regina. Jeder Angeklagte hat das Recht, sich zu verteidigen. Eine Erklärung abzugeben. Dazu mußt du Gert Gelegenheit geben, im Namen der Gerechtigkeit.“
„Da gibt es nichts zu erklären!“
„Das weißt du doch nicht! Mag sein, daß er dich angelogen hat, ein ganzes kleines bißchen…“
„Wer weiß denn, daß es nur dies eine Mal war? Konnte er das eine Mal lügen, dann konnte er es öfter tun! Ich weiß gar nicht mehr aus noch ein…“
„Wenn es nun aber wirklich nur dies eine einzige Mal war? Liebe gute Regina, schreib ihm – und dann mußt du dir seine Erklärung anhören! Versprich mir das, Regina!“
„Gut, Katrin.“
Reginas Stimme klang müde.
„Gut. Ich verspreche es dir. Ich schreibe, sobald ich seine Adresse habe!“
„Hast du die nicht?“
„Nein. Sein Chef hatte nur geschrieben, er würde für Unterkunft sorgen. Ich muß also warten…“
Regina wartete zwei Tage. Zwei Tage horchte sie nach dem Postboten, zwei Tage schlief sie kaum und aß fast nichts. Zwei Tage, an denen sie weiter an ihrem Brunnenkind arbeitete, müde und freudlos.
Am dritten Tag kam mit der ersten Post eine Karte.
„Meine liebste Regina! Ich bin gut angekommen, bin kopfüber in die Arbeit gesprungen, habe furchtbar viel zu tun. Der Chef ist angenehm, er kennt Papa. Aber die Schwierigkeiten mit der Sprache sind greulich. Ich lerne abends Dänisch und arbeite den ganzen Tag. Zwei von den Gesellen sind krank, das war der Grund, weshalb ich sofort kommen sollte, und ich habe oft das Gefühl, daß ich für zwei arbeite. Aber ich denke an Dich, während ich knete und forme und Kuchen verziere. Später mehr. Schreib ein paar Worte, sobald Du kannst. Tausend liebe Grüße!
Dein Gert.“
Und dann die Adresse, in großen deutlichen Blockbuchstaben.
Regina setzte sich hin, den Kopf in die Hand gestützt, vor sich einen Bogen Briefpapier. Die Gedanken wirbelten ihr im Kopf herum. Wie sollte sie anfangen? Wie sollte sie erklären – wie sollte sie all das ausdrücken, was sie in diesen beiden endlos langen Tagen so gequält hatte?
Dann schob sie alle Fragen beiseite, nahm die Feder und schrieb:
„Gert, weshalb hast Du mich angelogen?
Weshalb sagtest Du, das ,Schlafende Kind’ sei entzweigegangen? Regina.“
Und diese beiden Zeilen auf der Mitte eines Briefbogens waren der erste und einzige Brief, den Regina an Gert nach Kopenhagen schrieb.
Wieder wartete sie zwei Tage. Wieder plumpste etwas in den Briefkasten. Ach, dieses dumme Geschreibe – wenn Gert hier wäre, so daß sie sich hätten aussprechen können!
Nein! Nein! Nicht sprechen! Dann hätte er vielleicht wieder gelogen… Regina riß den Brief auf.
„Liebe kleine Regina – wie gern würde ich Dich sprechen, anstatt Dir zu schreiben! Ja, Liebste, es ist wahr, ich habe Dir nicht ganz richtig erzählt, wie es war. Warum und wieso, das werde ich Dir mal mündlich erklären. Regina, kannst Du nicht zu einem der nächsten Wochenende kommen, damit wir uns über diese dumme Geschichte aussprechen und sie aus der Welt schaffen? Du solltest nur eines wissen – wenn ich Dir auch etwas verschwiegen habe, wofür ich Dir dann eine Erklärung geben werde, so ist eins wesentlich, und das ist wahr: Das ,Schlafende Kind’ ist leider hingefallen und entzweigegangen, daraufgebe ich Dir mein Ehrenwort! Das ist so wahr wie meine Liebe zu Dir! – Ich schreibe wieder, Regina, sobald ich ein paar Minuten Ruhe habe – dies schmiere ich schnell mal in der Frühstückspause herunter. Liebste! Dein Gert.“
Hat Gert ein Ehrenwort gebrochen?
Erst als Regina in der Vorortbahn saß, wurde es ihr selber klar, daß sie auf dem Wege zu Katrin war. Sie erinnerte sich nicht, daß sie zur Station gegangen war, erinnerte sich nicht, daß sie eine Fahrkarte gelöst hatte. Sie hatte sich von einem unterbewußten Trieb leiten lassen, und der hatte sie auch daran gehindert, ins Atelier zurückzugehen. Sie konnte –
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