Regina schafft es doch
von mir abschieben und nicht ‘rumlaufen und mich selber quälen! Ja, wenn ich das nur könnte! Es will mir ja nicht aus dem Kopf, Katrin. – Ich kann es nicht verstehen – hat er mich überhaupt gern gehabt? Vielleicht hat er sich aus Annette nichts gemacht? Vielleicht hat er nur mit uns beiden gespielt?“
„Es gibt noch eine andere Möglichkeit, Regina“, sagte Katrin, und sie mußte sich selber zwingen, ruhig zu bleiben: „Vielleicht hat er euch beide gleich gern! Nein, widersprich mir nicht. Es gibt tatsächlich Männer, die zwei Frauen zugleich lieben können. Wirklich, ehrlich lieben können, zwei zugleich. Zwei Frauen, die untereinander so verschieden sind, daß er immer bei der einen das findet, was er bei der anderen entbehrt.“
„Das – das ist doch unmöglich, Katrin.“
„Für dich ist dieser Gedanke unmöglich, natürlich. Für mich auch. Aber ein Mann ist nun mal anders veranlagt. Ich glaube, Gert hat es ehrlich gemeint, wenn er dir sagte, er habe dich lieb. Und ich glaube auch, er hat es immer ehrlich gemeint, wenn er das gleiche zu Annette sagte. Es gibt viele Männer, die ihn verstehen würden, Regina. Aber er kann nicht erwarten, daß eine Frau ihn verstehen soll.“
Regina blieb stehen, leichenblaß und mit großen, weit aufgerissenen Augen.
„Weißt du, Katrin – wenn es wirklich so zusammenhängt – und wenn er mir das gesagt hätte – , wenn er mir gesagt hätte, daß er es so fühle – , dann würde ich versucht haben, ihn zu verstehen. Jedenfalls wäre ich ihm für diese Aufrichtigkeit dankbar gewesen. Denn das Furchtbare ist ja das, Katrin – daß er gelogen hat, gelogen! Ach – jetzt verstehe ich…“, fügte sie plötzlich hinzu, und ihre Stimme schlug um und erhielt ihren natürlichen Klang zurück.
„Was verstehst du, Regina?“
„An meinem Geburtstag, als er versuchte, mich davon zu überzeugen, daß es weiße Lügen gebe – barmherzige Lügen, und als ich dann sagte, eine Lüge sei eine Lüge – und hinterher – , als wir auseinandergingen – , da war er so sonderbar; genauso, als nehme er für immer Abschied – ja, jetzt verstehe ich das. Und übrigens – was hat das alles jetzt zu bedeuten? Liebe oder nicht Liebe! Er hat sein Ehrenwort gebrochen. Das ist für mich entscheidend!“
Sie schwiegen beide. Regina hatte sich auf einen Hocker gesetzt, vornübergeneigt und bleich.
Es war lange still. Endlich sprach Regina wieder, sonderbar trocken und tonlos.
„Ja. So muß ich nun eben ein neues Dasein aufbauen. Das wird nicht leicht werden.“
„Willst du nicht ein paar Tage bei mir bleiben, Regina? Montag oder Dienstag fährt Mami zu Tante Sigrid, sozusagen auf verspätete Sommerferien. Du weißt ja, Mami bewegt sich nicht von der Stelle, ehe nicht alle Einmacherei und die Sanitätstombola erledigt sind. Willst du in der nächsten Zeit hierbleiben?“
Regina schüttelte den Kopf.
„Nein, danke, Katrin! Ich will nach Hause und arbeiten. Die Arbeit ist ja das einzige, was mir geblieben ist.“
„Du bist tüchtig, Regina. Und du bist tapfer!“
„Keineswegs. Es ist der reinste Selbsterhaltungstrieb und nichts weiter.“
„Regina – weißt du – , wenn man ein wirklicher Künstler werden will, dann muß man gelebt haben. Man muß Leiden und Freuden durchgemacht haben, man muß gelacht und geweint haben. Und wer weiß, wer weiß, vielleicht ist es gerade das, was du brauchst, um bis zum Gipfel zu gelangen.“
Da zeigte sich so etwas wie ein Lächeln auf Reginas Antlitz, ein garstiges, verkrampftes Lächeln.
„Aha! Wenn der künstlerische Erfolg von Leid abhängig ist, dann sollst du sehen: ich werde ein neuer Michelangelo. Vielen Dank für alles, Katrin. Du bist die beste Kameradin der Welt. Und, bitte sehr, hier habe ich was für dich gemacht, während du in der Stadt warst. Einen Petz und einen Fuchs und einen Wauwau. Brenne sie und mach Schmuck draus – es sind die ersten Beweise meiner neuerworbenen Genialität als Bildhauerin. Auf Wiedersehen bis zum nächstenmal, Katrin. Du brauchst keine Angst um mich zu haben. Ich werde mich nicht vor den Zug werfen und auch nicht von einer Brücke springen. Ich gehe jetzt nach Hause und nutze meine durch Leid gereifte Begabung aus, einen Brunnen zu machen.“
Katrin blieb lange sitzen, nachdem Regina gegangen war. Sie sah mit großen, unglücklichen Augen vor sich hin. Dann stand sie auf, ging an den Tisch, an dem Regina gesessen und gearbeitet hatte. Sie nahm die kleinen, schnell geformten Dinge
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