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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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bin ich nicht mit einer üppigen Phantasie gesegnet, aber ich bildete mir ein, daß sie etwas sagen wollten. Daß sie uns sagen wollten, wir sollten den Schacht verlassen, solange wir es noch konnten. Aber ich konnte nicht anders, ich mußte einmal mit der Taschenlampe in den Riß leuchten, bevor wir hinausgingen. Als ich mich bückte, konnte ich einen Luftzug spüren, demnach war es nicht nur ein Riß in der Platte; auf der anderen Seite mußte eine Art Ritze liegen. Vielleicht sogar eine Höhle. Die Luft, die herauswehte, war heiß wie aus einem Brennofen und stank durchdringend. Ein kleiner Luftzug, und ich hielt den Atem an, damit ich mich nicht übergeben mußte. Es war der Geruch nach altem Lagerfeuer, nur tausendmal stärker. Ich habe mir den Kopf zermartert, wie etwas so tief unter der Erde so übel riechen kann, aber mir ist nichts eingefallen. Nur frische Luft kann bewirken, daß etwas derartig stinkt, was bedeutet, daß es einen Luftschacht geben muß, aber Deep Earth gräbt seit 1957 in dieser Gegend, und wenn ein Luftschacht gefunden worden wäre, groß genug, so einen Gestank zu erzeugen, dann hätten sie ihn entweder zugeschüttet oder ihn erforscht, um herauszufinden, wohin er führte. Der Riß sah wie ein zickzackf örmiges S oder ein Blitz aus, und es machte nicht den Eindruck, als gäbe es allzuviel darin zu sehen, nur dickes Gestein - mindestens sechzig Zentimeter, wenn nicht neunzig. Aber ich hatte das Gefühl, als würde sich auf der anderen Seite ein Raum auftun, und dazu diese ausströmende heiße Luft. Ich bildete mir ein, ein paar rote Pünktchen wie Glut da drinnen tanzen zu sehen, aber das muß ich mir eingebildet haben, denn als ich blinzelte, waren sie verschwunden. Ich drehte mich zu Garin um und sagte ihm, daß er losgehen solle.
    »Einen Augenblick, lassen Sie mir noch einen Augenblick Zeit«, sagte er. Er hatte den kleinen schwarzen Cowboystiefel aus dem Hemd genommen und zog ihn dem Jungen an. Mit einer ungeheuren Zärtlichkeit. Die Geste drückte alles aus, was man über die Liebe eines Vaters wissen muß. »Okay«, sagte er, als er fertig war. »Gehen wir.« »Gut«, sagte ich. »Passen Sie nur auf, wo Sie hintreten.«
    Wir gingen so schnell wir konnten, und trotzdem schien es eine Ewigkeit zu dauern. In den Träumen, von denen ich gesprochen habe, sehe ich immer den kleinen Lichtkreis meiner Taschenlampe über Schädelknochen gleiten. Es waren gar nicht so viele, als wir durch den Schacht liefen, und einige davon waren verfallen, aber in meinen Träumen scheinen es Tausende zu sein, Schädel von einer Wand zur anderen, die aufragen wie Eier in einem Karton, und sie grinsen alle, sowie der Kleine gegrinst hat, als sein Dad ihn hochgenommen hatte, und in ihren Augenhöhlen sehe ich kleine rote Pünktchen tanzen wie Funken über einem Buschfeuer. Alles in allem war es ein schrecklicher Rückweg. Ich hielt ständig nach dem Tageslicht Ausschau und konnte es lange Zeit nicht sehen. Als ich es schließlich erkennen konnte (ein winzig kleines Rechteck, das ich anfangs mit dem Daumennagel hätte verdecken können), schien der Hornfels lauter denn je zu ächzen, und ich war überzeugt, daß der Schacht warten würde, bis wir fast draußen waren, um dann über uns zusammenzubrechen wie eine Hand, die Fliegen erschlägt. Als ob ein Loch im Erdboden denken könnte! Aber wenn man sich tatsächlich in so einer Situation befindet, geht die Phantasie mit einem durch. Schall geht seltsame Wege; Gedanken offenbar auch. Ich kann ruhig sagen, daß mir immer noch die seltsamsten Gedanken über Rattlesnake Nummer eins durch den Kopf gehen. Ich werde nicht sagen, daß es dort gespukt hat, nicht mal in einem »Hintergrundbericht«, den wahrscheinlich nie jemand lesen wird, nein, aber ich werde auch nicht sagen, daß es nicht so war. Wo sollte es schließlich Gespenster geben, wenn nicht in einem Bergwerksstollen voller toter Männer? Was die andere Seite der Felswand betrifft, wenn ich dort tatsächlich etwas gesehen habe - diese tanzenden roten Lichter -, dann auf jeden Fall keine Gespenster. Die letzten dreißig Meter waren die schlimmsten. Es kostete mich alle Anstrengung, mich nicht einfach an Mr. Garin vorbeizudrängen und loszurennen, und ich konnte sehen, daß es ihm nicht anders erging. Aber wir beherrschten uns beide, wahrscheinlich weil wir wußten, daß wir den Rest der Familie noch mehr erschrecken würden, wenn wir voller Panik herausgerannt kämen. Statt dessen schritten wir hinaus wie

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