Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Freilegung des Schachts noch nie gehört, wenn ich dort gewesen war, um hineinzuschauen, aber ich wußte gleich, worum es sich handelte -Hornfels und Rhyolit, die sich aneinander rieben. Es ist, als würde die Erde sprechen. In alten Zeiten haben Bergleute stets einen Schacht verlassen, wenn sie es hörten, weil es bedeutete, daß er jeden Moment einstürzen konnte. Ich schätze, die Chinesen, die 1858 im Rattlesnake gearbeitet haben, wußten entweder nicht, was das
    Geräusch zu bedeuten hatte, oder sie durften nicht hinaus.
    Ich rutschte ab, als ich die Absperrung hinter mir gelassen hatte, und fiel auf ein Knie. Dabei sah ich etwas auf dem Boden liegen. Es war seine kleine Action-Figur aus Plastik, die Rothaarige mit dem Blaster. Sie mußte dem Jungen aus der Tasche gefallen sein, bevor er den Schacht betrat, und daß ich sie da in den Schottertrümmern liegen sah - die wir Abraumgestein nennen -, schien ein schlimmes Omen zu sein, das mich mit Schrecken erfüllte. Ich hob die Figur auf, steckte sie in die Tasche und vergaß sie bis später, als sich die ganze Aufregung gelegt hatte und ich sie ihrem Besitzer zurückgab. Ich beschrieb sie meinem kleinen Neffen, und der sagte, das sei Cassie Stiles (Schreibweise?), eine Figur aus der MotoKops-Serie, von der der kleine Kerl andauernd sprach.
    Ich hörte hinter mir Gestein rutschen und ein Keuchen; drehte mich um und sah Garin den Hang heraufkommen. Die anderen drei standen unten zusammengedrängt. Das kleine Mädchen weinte.
    »Kehren Sie sofort um!« sagte ich. »Dieser Schacht kann jeden Moment einstürzen! Er ist verdammte hundertunddreißig Jahre alt! Noch mehr!«
    »Von mir aus könnte er tausend Jahre alt sein«, antwortete er, ohne stehenzubleiben. »Es ist mein Junge, und ich werde ihn da rausholen.«
    Ich hatte nicht vor, da stehenzubleiben und mit ihm zu streiten; manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als sich in Bewegung zu setzen, in Bewegung zu bleiben und zu hoffen, daß Gott das Dach nicht einstürzen läßt. Und das tat er nicht. Ich war in meiner Zeit als Bergbauingenieur an einigen furchteinflößenden Orten gewesen, aber die zehn Minuten (es können auch mehr oder weniger gewesen sein; ich hatte jedes Zeitgefühl verloren) , die ich im alten Rattlesnake verbracht habe, waren bei weitem die unheimlichsten. Der Stollen führte in einem ziemlich steilen Winkel abwärts, und wir waren noch keine zwanzig Meter weit gekommen, da erlosch der letzte Rest des Tageslichts. Der Geruch des Schachts - Asche, alter Kaffee, verbranntes Fleisch - wurde zunehmend stärker, und auch das war seltsam. Manchmal herrscht in alten Bergwerken ein »mineralischer« Geruch, aber das ist meistens auch alles. Der Untergrund bestand aus Geröllgestein, und wir mußten sehr vorsichtig sein, damit wir uns nicht die Zehen anstießen und vornüber fielen. Die Stützbalken und Querverstrebungen waren mit chinesischen Schriftzeichen bedeckt, manche ins Holz eingeschnitzt, manche nur mit Ruß aufgemalt. Wenn man so etwas sieht, wird einem klar, daß sich alles, worüber man in Geschichtsbüchern liest, wirklich zugetragen hat. Nichts ist erfunden. Dann drückt die Vergangenheit wie ein richtiges Gewicht auf einen. Mr. Garin rief dem Jungen hinterher, daß er zurückkommen sollte, es wäre nicht
    sicher. Ich wollte ihm sagen, daß der Klang seiner Stimme ausreichen könnte, die ganze
    Decke zum Einsturz zu bringen, so wie laute Rufe im Hochgebirge manchmal Lawinen auslösen können. Aber ich ließ es sein. Er hätte nicht aufhören können, zu rufen. Er konnte nur an seinen Jungen denken. Ich habe ein kleines Taschenmesser, eine Lupe und eine kleine Taschenlampe an meinem Schlüsselbund. Diese kleine Lampe machte ich ab und leuchtete uns damit den Weg aus. Wir gingen weiter den Schacht hinunter, während der lockere Hornfels um uns herum flüsterte, das leise Rauschen in unsere Ohren drang und der Geruch in unsere Nasen. Ich spürte ziemlich schnell, daß es immer wärmer wurde, und je wärmer es wurde, desto stärker wurde der Geruch. Zuletzt roch es nicht mehr wie ein Lagerfeuer. Es roch wie etwas Verdorbenes. Eine Art Kadaver. Dann stießen wir auf die ersten Knochen. Wir - ich meine, wir von Deep Earth - hatten mit Scheinwerfern in den Stollen geleuchtet, aber nicht viel gesehen. Wir hatten hin und her diskutiert, ob wirklich etwas da drin sei. Yvonne sagte unmöglich, niemand wäre in einen Schacht gegangen, der in diese Art von Boden getrieben worden war, nicht einmal

Weitere Kostenlose Bücher