Regulator: Roman
und wartete ... nun, sie wußte nicht genau, wie lange, aber jedenfalls eine ganze Weile. Die Josephsons und Johnny Marinville mußten denken, daß sie nicht mehr ganz bei Verstand war. Aber die Welt drehte sich wirklich nicht nur um sie, die anderen beachteten sie gar nicht, konnte sie jetzt erkennen, als sie um die Kurve bog. Belinda hatte ihr einen kurzen Blick zugeworfen, und jetzt sah sie, wie alle anderen, wieder die Straße hinunter, was ihr Mann und der alte Billingsley trieben. Was sie zudeckten.
Sie versuchte, es mit eigenen Augen zu sehen und tastete nach dem Knopf des Scheibenwischers, während mehr Regentropfen - große - auf das Glas klatschten, und sie hatte keine Ahnung, daß ihr der futuristische gelbe Lieferwagen in die Poplar Street gefolgt war, bis er sie nun von hinten rammte.
Aus Playthings. The International Merchandising Magazine of the Toy Industry, Januar 1994 (94. Jg. Nr. 2), S. 96. Auszug aus »Lizenzenverkäufe '94, Ein Überblick«, von John P. Muller.
Kapitel 4
Poplar Street, 15. Juli 1996,16:09 Uhr
Er sieht alles.
Das ist all die Jahre sein Segen und sein Fluch zugleich gewesen - er sieht die Welt immer noch mit den Augen eines Kindes, gleichwertig, wahllos, unvoreingenommen wie das Gewicht des Lichts.
Er sieht Marys Lumina an der Ecke und weiß, sie versucht zu enträtseln, was sie vor sich sieht - zu viele Leute in einer steifen, aufmerksamen Haltung, die nicht zu einem trägen Julinachmittag paßt. Als sie wieder anfährt, sieht er den gelben Lieferwagen, der hinter ihr geparkt war, ebenfalls anfahren, hört ein erneutes teuflisches Donnerkrachen und spürt die ersten kalten Regentropfen auf seinen heißen Unterarmen. Als sie die Straße entlangfährt, sieht er plötzlich, wie der gelbe Lieferwagen beschleunigt, und weiß, was passieren wird, kann es aber dennoch nicht glauben. Paß auf, alter Junge, denkt er. Wenn du zu sehr damit beschäftigt bist, sie zu beobachten, wirst du möglicherweise überfahren wie ein Eichhörnchen auf der Straße. Er weicht auf den Bürgersteig vor dem Haus der Josephsons zurück, Kopf immer noch nach links gedreht, Augen groß. Er sieht Mary am Steuer ihres Lumina, aber sie schaut nicht ihn an, sie schaut die Straße hinunter. Hat wahrscheinlich ihren Mann erkannt, dazu war die Entfernung nicht zu groß, und fragt sich wahrscheinlich, was er treibt, und sie sieht Johnny Marinville nicht, ebensowenig wie den unheimlichen gelben Lieferwagen mit den getönten Scheiben hinter ihr.
»Mann, paß auf!« ruft er. Brad und Belinda, die auf der Eingangstreppe zu ihrem Haus angelangt sind, wirbeln herum. Im selben Augenblick stößt die hohe, klobige Frontpartie des Lieferwagens mit dem Heck des Lumina zusammen; die Heckleuchten bersten, die Stoßstange bricht durch und der Kofferraum wird eingedrückt. Er sieht, wie Marys Kopf nach hinten und dann nach vorne schnellt wie die Blüte einer Blume mit langem Stengel bei starkem Wind. Die Reifen des Lumina quietschen, der rechte Vorderreifen platzt mit einem lauten Knall. Das Auto schmiert nach links ab, der platte Reifen macht ein klatschendes Geräusch, die Radkappe springt ab und rollt die Straße hinunter wie das Frisbee der Reed-Jungs. Johnny sieht alles, hört alles, spürt alles; Input strömt in ihn ein, und sein Verstand besteht darauf, jede irre Einzelheit aneinanderzureihen, als würde hier etwas Zusammenhängendes passieren, das man tatsächlich linear erzählen könnte.
Der Gewitterhimmel reißt auf und entleert seinen kalten Stausee. Er sieht überall Tropfen, die den Bürgersteig dunkel färben, und spürt, wie Tropfen ihm in immer schnelle -rer Folge in den Nacken klatschen, während Brad Josephson hinter ihm »Beim gütigen Himmel!« ruft. Der Lieferwagen klebt immer noch am Arsch des Lumina, rammt ihn und vergräbt sich in das dünne New-Age-Heck; ein gräßliches metallisches Knirschen ertönt, dann ein Wonk!, als das Kofferraumschloß bricht und die Klappe hochschnellt, so daß man einen Ersatzreifen, ein paar alte Zeitungen und eine orangefarbene Kühltasche aus Styropor sehen kann. Das vordere Ende des Lumina springt über die Bordsteinkante. Das Auto überquert den Bürgersteig und kommt mit der Stoßstange am Zaun zwischen Billingsleys Haus und dem daneben, Marys eigenem, zum Stillstand.
Ein Blitz - nahe, sehr nahe - taucht die Straße vorübergehend in einen grellvioletten Glanz, Donner folgt wie Mörserfeuer, der Wind nimmt zu, zischt in den Bäumen, und der Regen fällt in
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