Regulator: Roman
Strömen. Die Sicht verschlechtert sich rapide, aber er kann noch erkennen, wie der gelbe Lie -ferwagen beschleunigt, in den Regen davonrast, und die Fahrertür des Lumina geöffnet wird. Ein Bein wird herausgestreckt, dann folgt Mary Jackson, die aussieht, als hätte sie nicht die geringste Ahnung, wo sie ist. Jetzt umklammert Brad mit einer sehr großen und sehr nassen Hand Johnnys Oberarm und fragt ihn, ob er das gesehen hat, ob er das gesehen hat, der gelbe Lieferwagen hat sie mit voller Absicht gerammt, aber Johnny hört ihn kaum. Johnny kann jetzt einen anderen Lieferwagen sehen, einen mit schrägen Seiten und blauer Metalliclackierung. Er taucht aus dem Sturm auf wie die Schnauze einer prähistorischen Bestie, und der Regen fließt in Strömen über die dunkel getönte Scheibe, die nicht von einem Scheibenwischer freigemacht wird. Und plötzlich weiß er, was passieren wird. »Mary!« schreit er der benommenen Frau zu, die mit hochhackigen Pumps von ihrem Auto wegstolpert, aber ein neuerliches krachendes Bombardement von Donner ertränkt seine Worte. Sie sieht nicht einmal in seine Richtung. Regen strömt ihr über das Gesicht wie extravagante Tränen in einer südamerikanischen Seifenoper. »MARY, RUNTER!« schreit er diesmal so laut, daß er fürchtet, seine Stimmbänder könnten reißen. »UNTER DAS AUTO!«
Dann senkt sich die Windschutzscheibe des blauen Lieferwagens. Gleitet nach unten. Ja. Die senkrechte Windschutzscheibe verschwindet in der Karosserie des Lieferwagens wie die Front eines gläsernen Fahrstuhls; dahinter ist Dunkelheit, und in dieser Dunkelheit sind Gespenster. Gespenster. Ja. Zwei. Es müssen Gespenster sein; es sind Wesen, so hellgrau wie eine nebelverhangene Landschaft, kurz bevor die Sonne durchbricht. Der am Steuer trägt die Uniform eines Soldaten der Südstaatenarmee - dessen ist sich Johnny ziemlich sicher -, ist aber kein Mensch. Unter dem weit nach hinten geschobenen Kavalleriehut befinden sich eine gewölbte Stirn, unheimliche, mandelförmige Augen und ein Mund, der aus dem Gesicht ragt wie ein fleischiger Rüssel. Sein Gefährte, ebenfalls von einem hellen und geradezu trügerischen Grau, sieht zumindest aus wie ein Mensch. Er trägt ein Trapperhemd aus Wildleder und einen Gurt darüber. Bartstoppeln, etwa eine Woche alt, zieren sein Antlitz; die Stoppeln wirken vor dem unnatürlichen Silberfarbton des Gesichts sehr schwarz. Er steht, dieser Bursche, und hält eine schwere Doppelflinte in der Hand. Diese Flinte hebt Trapper John vor Johnnys Augen hoch, beugt sich in die überschäumende, nasse Welt der Farben hinaus, zu der er nicht im mindesten gehört, grinst mit zurückgezogenen Lippen und enthüllt dabei einen Mund voller schiefer Zähne, die eindeutig noch nie die Dienstleistungen eines Zahnarztes erfahren haben. Dieses Geschöpf aus einem Traum sieht wie etwas aus einem Horrorfilm über inzuchtgeschädigte Kretins aus, die in einem entlegenen Sumpfgebiet hausen. Nein, das stimmt nicht, denkt Johnny. Er sieht wie etwas aus einem Film aus, das stimmt, aber nicht aus diesem. »MARY!« ruft er, und Brad Josephson an seiner Seite stimmt ein: »HO, MARY, PASSEN SIE AUF, HINTER IHNEN!«
Aber sie sieht nichts. Der Mann im Wildlederhemd eröffnet das Feuer, schießt dreimal, lädt die Waffe nach jedem Schuß schnell durch und schultert sie anschließend wieder. Der erste Schuß geht daneben, soweit Johnny sehen kann. Der zweite pulverisiert die Antenne des Lumina. Der dritte reißt die linke Seite von Mary Jacksons Kopf weg. Sie stolpert trotzdem weiter von ihrem Auto fort auf das Haus des alten Doc zu, während Blut an ihrem Hals hinunterläuft und die Bluse tränkt, und ihr Haar kurz im Regen brennt (das sieht er, er sieht alles), und dann dreht sie sich einen Moment in Johnnys Richtung und schaut ihn mit ihrem einen verbliebenen Auge an, ein Blitzschlag zuckt herab und füllt dieses Auge mit Feuer; es scheint, als wäre in den letzten beiden Sekunden ihres Lebens nichts anderes als Elektrizität mehr in ihr. Dann stolpert sie, rutscht aus einem ihrer hohen Pumps heraus und fällt nach hinten, taucht regelrecht ein in den Hall des Donners, die Fläminchen in ihrem Haar erlöschen, während ihr Kopf noch raucht wie eine achtlos ausgedrückte Zigarette. Sie bricht auf Billingsleys Rasen in der Nähe des deutschen Schäferhunds aus Keramik zusammen, auf dem sein Name und seine Hausnummer stehen, und als ihre Beine schlaff werden und sich leicht spreizen, sieht Johnny etwas, das
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