Reich der Schatten
Ann. Beide schliefen tief und fest.
In der Küche holte sie sich noch eine Tasse Kaffee und überlegte, was als Nächstes zu tun war. Sie dachte auch über die sogenannten Vampirregeln nach, obwohl sie sich noch immer nicht recht durchringen konnte, das ganze Gerede für bare Münze zu nehmen. Doch wenn auch nur ein Funken Wahrheit in den Mythen und Legenden steckte, dann mussten Vampire tagsüber schlafen oder waren zumindest viel schwächer als nachts. Sie konnten in kein Haus eindringen, wenn sie nicht eingeladen waren; und Knoblauch, Weihwasser und Kruzifixe wirkten abschreckend.
Offenbar sorgte Katia mit derselben Selbstverständlichkeit für den Schutz gegen uneingeladene Gäste aus dem Schattenreich, wie sie sich um die moderne Alarmanlage kümmerte. Tara konnte also ruhigen Gewissens das Haus verlassen. Sie musste Brent finden. Die Polizei behauptete zwar, man wolle ihn nur verhören, doch Tara glaubte das nicht. Sie wollten ihn sicherlich verhaften.
Nachdem sie Katia noch einmal eindringlich ermahnt hatte, niemanden, wirklich absolut niemanden hereinzulassen, wollte sie aufbrechen, um Brent Malone zu suchen. Doch beim Öffnen der Haustür wäre sie fast mit Kommissar Javet zusammengestoßen.
»Miss Adair, bonjour «, meinte der Kommissar.
Sie verlor allen Mut.
»Guten Morgen, Monsieur«, erwiderte sie. Obwohl sie fürchtete, gegen ihn wenig ausrichten zu können – schließlich war er der Polizeichef hier –, wollte sie ihn nicht ins Haus lassen. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ja, ich denke, das können Sie. Ich würde gern mit Ihrem Großvater sprechen.«
»Das geht jetzt nicht, er schläft. Er hatte eine ziemlich schlimme Nacht.«
»Das tut mir leid. Was war denn so schlimm?«, wollte Javet wissen.
»Mein Großvater ist ein alter Mann, er war krank, und manchmal geht es ihm einfach nicht besonders gut. Das ist ja wohl verständlich, oder?«
Javet nickte langsam, dann meinte er gemächlich: »Wissen Sie, Miss Adair, eigentlich ist es komisch, dass Sie mich abwimmeln wollen. Ich möchte Jacques doch nur ein paar Fragen stellen.«
»Die sollten Sie lieber Professor Dubois stellen.«
»Ja, den hätte ich auch gern noch einmal ausführlicher gesprochen. Doch anscheinend ist er verschwunden.«
»Dubois ist verschwunden?«
»Jawohl, Miss Adair, so ist es.«
»Das tut mir leid.«
»Denken Sie, wir finden den guten Professor … ohne seinen Kopf, Miss Adair?«
»Woher soll ich das wissen, Herr Kommissar?«
»Na gut, Miss Adair. Aber vielleicht könnten Sie mich hereinbitten und mir einen Kaffee anbieten, bis Ihr Großvater aufwacht?«
Tara stand da und musterte Javet. Sie war viel zu misstrauisch, um jemanden ins Haus zu lassen, wenn sie es verhindern konnte.
»Es tut mir leid, aber ich war gerade am Gehen.«
»Ich kann auch rechtliche Schritte unternehmen, um mit Jacques zu sprechen, das wissen Sie doch sicher, oder?«, erinnerte er sie.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber ich muss jetzt los, und ich lasse niemanden ins Haus, wenn ich nicht da bin.«
»Also gut, Miss Adair«, erwiderte Javet und machte kehrt. Doch dann drehte er sich noch einmal um. »Sie sollten mir vertrauen. Ich habe nicht vor, Jacques Unannehmlichkeiten zu bereiten.«
»Ich vertraue niemandem, Kommissar.«
»Das ist auch besser so, und hoffentlich verlassen Sie jetzt nicht das Haus, weil Sie hoffen, Ihren neuen Freund, Mr Malone, zu finden.«
»Kommissar Javet, ich verlasse das Haus, weil ich einiges zu erledigen habe.«
»Wissen Sie, Miss Adair, ich hätte Brent Malone auch gern vertraut. Er ist ein sehr intelligenter Mann, gebildet, gut aussehend, und dazu hat er noch hervorragende Französischkenntnisse.« Er hielt inne, als ob es ihm zu denken gäbe, dass jemand mit Englisch als Muttersprache so ausgezeichnet Französisch sprach. »Aber egal, welche Technik wir auch einsetzen, egal, wie sehr wir uns bemühen«, fuhr er schließlich fort, »wir finden keinen Hinweis, dass in der Zeit, als Jean-Luc starb, noch ein anderer in der Grabkammer war. Und jetzt … jetzt verschwinden ständig junge Leute, und eine weitere Leiche ist aufgetaucht – auch sie ohne Kopf. Ich fürchte, es ist schwer, an Mr Malones Unschuld festzuhalten.«
»Ich kenne Mr Malone kaum«, entgegnete sie mit fester Stimme und hielt seinem Blick stand.
»Sie sollten mir erzählen, was hier los ist, und mir vertrauen, Miss Adair«, erklärte Javet sanft. Er betrachtete sie noch eine Weile, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich
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