Reich der Schatten
wir ihn noch retten«, meinte Jacques.
»Ja, das hoffe ich«, sagte Jade.
»Nachdem sich meine Enkelin uns jetzt angeschlossen hat, werden wir die Wahrheit bestimmt bald herausfinden«, stellte Jacques fest.
»Großpapa, warum bist du dir so sicher, dass ich euch helfen kann?«, fragte Tara.
»Weil du es bist«, sagte er.
»Was bin ich?«
»Du bist es. Ich bin alt und gebrechlich. Aber es gibt immer einen Verwandten, der die Nachfolge antritt, der der Allianz zu neuer Kraft verhilft. Und das bist du, Tara.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich … das kann ich mir nicht vorstellen, Großpapa. Ich habe doch noch immer meine Zweifel an all dem, was ihr mir da erzählt.«
Er lächelte nur und zuckte die Schultern. »Tara, sieh dir die Karten an. Was glaubst du? Sag mir, was du weißt und woran du dich aus deiner Kindheit noch erinnerst.«
Sie trat vor und deutete auf die Karte. »Das dort haben wir immer als Riesenfelsen bezeichnet. Eigentlich ist er gar nicht so groß, aber damals kam er uns so vor. Und hier gibt es Ruinen«, fuhr sie fort. »Aber die sind wirklich schon sehr verfallen.«
»Dort waren wir bereits«, meinte Jade. »Der Keller ist eingebrochen.«
Tara sah sie an.
»Ich habe im Internet recherchiert und die Besitzer ausfindig gemacht. Ich habe festgestellt, wann das Haus verlassen wurde, und habe sogar die Originalpläne davon gefunden.«
»Ach so«, meinte Tara. »Sehr vernünftig.« Sie blickte wieder auf die Karte. »Hier … Wenn ich mich recht entsinne, befindet sich hier das alte Dupré-Haus. Mit dem Pferd konnte man nicht bis zu dem eigentlichen Haus durchdringen, weil alles so zugewuchert war.« Sie verstummte und schloss die Augen. Plötzlich war ihr, als würde sie ein eisiger Wind einhüllen.
Das Dupré-Haus!
Auf einmal verbanden sich die Kindheitserinnerungen mit den unheimlichen Bildern ihrer Albträume. Die Schattenflügel, die sie abgewehrt hatten … Als Kind war sie dort immer nur bei Tageslicht herumgestreift. Wenn sie mit dem Pferd unterwegs waren, mussten sie immer vor Einbruch der Dämmerung daheim sein.
Gerade als sie den anderen die Bilder aus ihrer Erinnerung und ihren Träumen schildern wollte, hallten plötzlich laute Geräusche durch die Nacht, so plötzlich, als wäre eine Bombe explodiert. Eleanora begann wie ein ganzes Wolfsrudel zu heulen, zu bellen und zu winseln.
Gleichzeitig klang es, als würde der Stall zusammenbrechen, und der alte Daniel drosch mit den Hufen an seine Box.
»Was um Himmels willen …?«, wisperte Tara.
Katia kam hereingestürmt und rang verzweifelt die Hände. »Ich habe ihm gesagt, dass er es nicht tun soll, ich habe ihn gewarnt, aber er hat nicht auf mich gehört. Roland hat das Gewehr genommen und ist nach draußen. Und dort draußen ist es, das weiß ich ganz genau … Ich habe es gesehen. Oh, Jacques, was sollen wir jetzt tun? Roland ist rausgelaufen!«
Tara eilte zu der treuen Haushälterin. »Katia, bitte beruhige dich! Was hast du denn gesehen?«
Während sie das sagte, erblickte Tara selbst etwas …
Sie konnte es nicht genau beschreiben, aber es war, als würde sich Dunkelheit auf den Raum senken. Das Lampenlicht fla-ckerte, es wurde düsterer.
Als ob große Schattenflügel über das Haus strichen …
»Katia, bitte! Was hast du gesehen?«
»Das Böse! Ich habe das Böse gesehen!« Die Haushälterin umklammerte Taras Schultern. »Das Böse, Tara, und du fühlst es bestimmt auch. Ich spüre es. Es ist, als wäre es ins Haus eingedrungen!«
Wieder flackerten die Lampen.
Im Kamin loderten die Flammen noch einmal hell auf …
… und erstarben.
Gleichzeitig glühte das flackernde Lampenlicht ein letztes Mal schwach auf … und erlosch ebenfalls.
Tiefe Dunkelheit umfing sie.
In dem Augenblick, als sich die schwärzeste Nacht auf sie herabgesenkt hatte, ertönte ein schriller Schrei vom Hof.
Und der Hund begann wieder zu heulen und zu bellen.
Bis auch er jäh verstummte.
18
Brent saß stumm und schicksalsergeben auf der Rückbank des Polizeiautos, und auch auf dem Revier fügte er sich in alles. Er wurde nicht wie bei seinem ersten Besuch in Javets Büro gebracht, sondern in einen fensterlosen Raum, in dem nur ein Tisch und ein paar Stühle standen. In einer der Wände war eine Milchglasscheibe eingelassen, von der anderen Seite aus konnte man ihn bestimmt beobachten und seine Worte hören.
Man ließ ihn kurz allein, dann kam Javet herein und setzte sich ihm gegenüber. »Hätten Sie gern einen Kaffee oder eine
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