Reich der Schatten
uns das Interesse Ihres Großvaters an dem Grab sehr verdächtig vorkommt.«
»Mein Großvater?«
»Unseren Aufzeichnungen und auch den Hinweisen von Professor Dubois zufolge zeigte Jacques DeVant ein starkes Interesse an dem Grab, bevor es geöffnet wurde.«
»Mit der Gesundheit meines Großvaters steht es leider nicht zum Besten, Kommissar. Er könnte niemandem etwas anhaben.«
»Er verfügt über einen gewissen Einfluss, Miss Adair. Und er war sehr erpicht, dass die Grabkammer unberührt bleibt. Er schrieb zahlreiche Protestbriefe an die Kirche, die Regierung und auch an die Polizei.«
»Er ist ein Gelehrter, ein Historiker, und darüber hinaus auch sehr gläubig. Mein Großvater ist ein Mensch mit festen Überzeugungen, aber er ist auf keinen Fall gewalttätig.«
Javet betrachtete sie nachdenklich. »Ihr Großvater steht im Ruf, ein Held der Résistance zu sein, Miss Adair. Früher hatte er bestimmt mit Gewalt zu tun.«
»Er hat als Soldat im Krieg gekämpft, Kommissar. In solchen Zeiten müssen alle Männer ihre Pflicht erfüllen.«
Javet zuckte mit den Schultern. »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Ihrem Großvater allein die Vorstellung einer Ausgrabung höchst zuwider war und dass er über die finanziellen Mittel verfügt, andere zu beeinflussen.«
»Er würde nie einen Mord in Auftrag geben. Niemals! Da können Sie Experten aus Paris herbeizitieren, so viel Sie wollen, Sie werden trotzdem nichts finden, was auch nur den kleinsten Hinweis darauf liefert, dass er so etwas tun würde.«
Javet lächelte, doch plötzlich straffte er die Schultern. »Na gut, Miss Adair. Aber vielleicht kann dieser Herr dort drüben etwas dazu beitragen, dass Sie nicht mehr ganz so beunruhigt sind.« Er nickte mit dem Kopf in die Richtung eines Mannes, der soeben mit langen und dennoch leichten Schritten auf sie zukam.
Taras Blick fiel auf einen hellhaarigen Mann mit einem ansprechenden Äußeren – größer als Javet, dunkle Augen, fein gemeißelte Gesichtszüge, breite Schultern. Er machte den Eindruck eines sehr erfahrenen Polizisten.
»Miss Adair, das ist Kommissar Trusseau von der Pariser Zentrale. Kommissar – Miss Adair. Die junge Dame kommt aus Amerika und besucht hier französische Verwandte, die DeVants.«
»Sehr angenehm, Mademoiselle«, murmelte der Kommissar mit leiser, charmanter Stimme. Er küsste ihr die Hand, was so gar nicht Taras Vorstellungen von einem Polizisten entsprach. Sie lächelte, nickte, entzog ihm ihre Hand. Auch sein charmantes Lächeln kam ihr zu geschliffen vor für einen Polizisten, aber vielleicht trog dieser Eindruck ja. Er hatte einen direkten Blick. Sie stellte fest, dass es gar nicht so einfach war, sich diesem Blick zu entziehen.
»Wie geht es Ihnen, Kommissar Trusseau?«, fragte sie höflich.
»Ausgezeichnet, danke der Nachfrage. Wie schön, dass wir uns jetzt treffen.«
»Ach ja? Warum?«
»Nun, selbstverständlich wollte ich Ihren Großvater besuchen.«
»Wieso?«
»Weil er ein beeindruckender Gelehrter ist«, erwiderte Trusseau. »Ich hoffe, dass er mir ein paar Einblicke in dieses Verbrechen verschafft.«
Sie blickte auf Javet.
»Ich habe ihr bereits erklärt, dass Jacques DeVant zu unseren Verdächtigen zählt.«
»Und ich habe ihm bereits erklärt, dass es vollkommen verrückt ist, meinen Großvater eines derartigen Verbrechens zu verdächtigen.«
»Dann würde ich ihn gern um seine Hilfe bitten«, meinte Trusseau höflich und neigte lächelnd den Kopf, wohl um auszudrücken, dass es verständlich sei, dass sie ihren Großvater verteidigte. Dann bedachte er Javet mit einem scharfen Blick, bei dem in Tara ein gewisses Unbehagen aufstieg. Ja, dieser Mann konnte zwar charmant sein, aber auch hart wie Stahl. Doch das konnte nicht schaden, schließlich war er hier, um einen Mörder dingfest zu machen.
»Kommissar Javet gab mir zu verstehen, er glaube, dass mein Großvater jemanden bezahlt habe, um den Arbeiter in der Grabkammer umzubringen und den Leichnam aus dem Sarg verschwinden zu lassen.«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Javet etwas gereizt. »Ich wollte Ihnen nur klarmachen, dass wir alle möglichen Spuren verfolgen.«
Jemand rief nach Javet. Er drehte sich um, bedeutete dem Beamten mit einem Nicken, dass er gleich kommen würde, und meinte zu Tara: »Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen?«
»Ich bringe Miss Adair zu ihrem Wagen«, bot Trusseau an und nahm sie am Arm. Sein Griff war fest. Ein Mann, der Tatkraft und Energie verströmte. Er
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