Reich der Schatten
nickte, ob geschmeichelt oder nicht, konnte sie nicht sagen.
Sie beschloss, noch einmal einen direkten Vorstoß zu wa-gen. »Wenn ich es recht verstanden habe, hat einer der Män-ner, die an der Ausgrabung arbeiteten, das Verbrechen angezeigt.«
»Jawohl.«
»Ich nehme an, er gehört zu den Verdächtigen.«
Zum ersten Mal wirkte Javet etwas verunsichert, doch er beeilte sich, es zu überspielen. »Er ist vernommen worden und wird beobachtet.«
»Aber er wurde nicht verhaftet.«
»Noch nicht.«
»Könnte es denn dazu kommen? Bald?«
»Wir glauben nicht, dass er dieses Verbrechen begangen hat, Miss Adair. Warum das so ist, kann ich Ihnen leider nicht sagen, das erlaubt mir der momentane Stand der Ermittlungen nicht. Aber natürlich darf er die Gegend nicht verlassen. Und ich weiß, dass er sich daran hält, denn er steht wie gesagt unter Beobachtung.«
Sie fragte sich, wie genau der Kommissar Brent Malone beobachten ließ. Dass Brent sich momentan im Haus ihrer Familie aufhielt, schien er jedenfalls nicht zu wissen.
Andererseits war sie die Einzige, die mit Sicherheit sagen konnte, dass Brent Malone unschuldig war.
»Und was ist mit Professor Dubois?«
»Dubois«, meinte Javet und schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir, Mademoiselle, wir haben mit Dubois gesprochen. Er ruft täglich an – freilich nicht, weil ihm das Opfer am Herzen liegt, sondern weil er es kaum erwarten kann, seine Ausgrabungen fortzusetzen. Er hat nicht die Absicht, diese Gegend zu verlassen, sondern rückt mir täglich auf die Pelle.«
»Aber das heißt nicht, dass …«
»Es gibt Zeugen, die gesehen haben, wie der Professor die Grabkammer verlassen hat, und andere, die gesehen haben, wie er zu Hause angekommen ist. Wir verfolgen jede Spur. Aber natürlich können wir nicht alle unsere Informationen preisgeben. Wenn wir den Mörder fassen wollen, darf er nicht erfahren, was wir bereits herausgefunden haben. Abgesehen davon kann ich Ihnen nur das sagen, was auch schon in den Zeitungen gestanden hat: Wir gehen davon aus, dass jemand in die Grabkammer eingedrungen ist mit der Absicht, etwas zu rauben. Aber offenbar hatte man nicht damit gerechnet, zu der Zeit noch einen Arbeiter vorzufinden. Deshalb musste der Mann sterben. Ich kann Ihnen also versichern, dass wir auch die Bekannten des Professors unter die Lupe nehmen. Ein Wissenschaftler, der selbst für die Finanzierung seiner Forschungen gesorgt hat, ist sich womöglich gar nicht bewusst, wie gierig andere sein können; sie lassen sich von ihm zu dem Schatz führen und rauben ihm den dann unter der Nase weg. Wie auch immer – glauben Sie mir, wir ermitteln.«
Das klang wie ein höflicher Rausschmiss. Tara nickte und stand auf. »Vielen Dank noch mal. Es tut mir aufrichtig leid, Ihre kostbare Zeit in Anspruch genommen zu haben.«
Er erhob sich ebenfalls, und endlich verzog sich sein Mund zu einem schmalen Lächeln. »Es war mir ein Vergnügen, Mademoiselle. Vielleicht darf ich Sie ja mal zu einem Kaffee einladen, wenn ich dienstfrei habe, und Sie auf den neuesten Stand der Ermittlungen bringen.«
Diese Einladung überraschte sie. Bislang hatte er nicht nur äußerst sachlich, sondern fast schon ungeduldig gewirkt. Sie nickte zustimmend. »Ja, gerne.«
»Ich begleite Sie nach draußen.«
Er öffnete die Tür und ließ ihr höflich den Vortritt. Seine Augen wirkten sehr dunkel und unergründlich, als er meinte: »Wenn Ihr starkes Interesse an Mr Malone daher rührt, dass Sie ihn bereits kennengelernt haben, würde ich Ihnen raten, vorsichtig zu sein.«
»Wie bitte?«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, Miss Adair, dass wir den Mann beobachten. Haben Sie den Amerikaner bei der Arbeit in der Gruft getroffen, oder sind Sie ihm erst in dem Café in der Nähe der Kirche begegnet?«
»Natürlich habe ich ihn dort unten arbeiten sehen, aber kennengelernt haben wir uns eigentlich erst am darauffolgenden Morgen in dem Café.« Das kam der Wahrheit ziemlich nahe, und gemessen daran, dass der Kommissar sie wieder völlig unvorbereitet erwischt hatte, klang ihre Stimme fest. Sie lächelte. »Und da ich den Mann kenne und in der Zeitung gelesen habe, dass er den Leichnam entdeckt hat, bin ich natürlich etwas besorgt.«
Javet nickte. »Miss Adair, das hätten Sie mir aber schon früher sagen sollen.«
»Aber da Sie wissen, dass wir uns begegnet sind, verstehen Sie doch sicher meine Besorgnis.«
Er bejahte abermals mit einem leichten Nicken.
»Vielleicht sollte ich Sie auch informieren, dass
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