Reich der Schatten
schien bestens geeignet für seinen Beruf.
»Danke, das ist nicht nötig«, meinte Tara. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich gleich nach Hause fahre.«
»Nun, in dem Fall wünsche ich Ihnen zumindest einen angenehmen Tag, Mademoiselle. Und ich möchte noch hinzufügen, dass wir uns bestimmt bald wiedersehen werden.«
»Wenn Sie meinen Großvater verhören?«, fragte sie gereizt.
Er lächelte. »Ach, meine Liebe! Sie sind ja eine wahre Jeanne d’Arc. Aber ganz ehrlich – ich habe schon vor Jahren von Ihrem Großvater gehört. Gönnen Sie mir die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen! Wenn ich komme, hoffe ich sehr, dass Sie auch da sein werden, um mich herzlich in Ihr Haus einzuladen und an dem Gespräch teilzunehmen.«
Sie versteifte sich bei der Vorstellung, wie dieser knallharte Bursche wohl die Märchen ihres Großvaters über Vampire aufnehmen würde.
Danach würde Jacques bestimmt in einer Nervenheilanstalt landen.
»Mein Großvater ist sehr krank.«
»Das tut mir leid. Aber wir werden sicher nicht viel von seiner Zeit beanspruchen.«
»Wenn er ruht, lassen wir es nicht zu, dass er gestört wird. Von niemandem.«
Ob sie in Frankreich damit durchkommen würde? Tara kannte die französischen Gesetze kaum. In Amerika brauchte man jedenfalls eine offizielle Erlaubnis, wenn man unbedingt mit einem gebrechlichen alten Mann sprechen wollte, aber wie solche Dinge hier gehandhabt wurden, wusste sie nicht. Sie würde Ann fragen müssen.
» Bonjour, Mademoiselle. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen«, wiederholte er mit sanfter Stimme.
Er ging zurück in die Wache.
Tara stand allein da. Sie hatte mit ihrem Besuch bei der Polizei rein gar nichts erreicht, abgesehen davon, dass sie jetzt noch verzweifelter und ängstlicher war.
Jacques!
Die Polizei ermittelte gegen ihren Großvater! Man kannte seine Interessen, und man wusste, dass sie mit Malone Bekanntschaft geschlossen hatte.
Plötzlich hasste sie diesen Mann richtiggehend. Er hatte nichts als Probleme und Gefahr in ihr Leben gebracht.
Und ihr Großvater hatte ihr noch nicht alles erzählt. Er hatte Legenden und Märchen zum Besten gegeben. Wenn die Polizei Jacques tatsächlich verhörte und er über Vampire und das Böse zu reden begann, würde man ihn bestimmt in eine psychiatrische Klinik einliefern, vor allem dann, wenn jemand wie Kommissar Trusseau darauf beharrte, mit ihm zu sprechen.
Verzagt sah sie sich um. Die Tore der neuen Kirche Saint Michel waren repariert worden. Menschen gingen ein und aus, um ihr tägliches Gebet zu verrichten.
Der Eingang zur Ausgrabungsstelle war noch immer mit einem gelben Plastikband abgesperrt.
Es musste doch noch etwas geben, was sie tun konnte. Irgendetwas, um Jacques zu schützen. Sie kam sich völlig verloren vor, aber sie war auch zornig und einigermaßen verängstigt.
Vielleicht würden ein Café au Lait und ein paar ruhige Minuten ihr guttun. Vielleicht würde ihr dann auch einfallen, wie sie Malone und seine Freunde von ihrem Zuhause fernhalten konnte.
Doch das Verwirrendste war: Sobald dieser Mann in ihrer Nähe war, hätte sie am liebsten alles vergessen, jedwede Vernunft über Bord geworfen. Sie sei eben fasziniert von ihm, hatte er ihr selbstbewusst beschieden. Das Beängstigende war, dass das stimmte. Und nicht nur das – er schien eine Art Bann auf sie auszuüben, etwas, was weit über bloße Faszination hinausging.
Wenn sie nicht in seiner Nähe war, war alles völlig normal. Aber je näher er kam …
Während sie so dastand, kam jemand aus der Wache und trat hinter sie. Sie murmelte eine Entschuldigung und wich zur Seite. Doch dann überlief es sie eiskalt, so kalt, wie kein Wind es je zustande gebracht hätte.
Es war niemand da! Nichts und niemand.
Sie verzog das Gesicht und starrte die Tür an, die langsam zuzugehen schien. Auf einmal überwältigte sie die Angst wie eine eiskalte Welle.
Nun, diese Angst war berechtigt – Javet und Trusseau hatten es beide auf Jacques abgesehen.
Aber sie waren Polizisten, die auf der Seite von Recht und Ordnung standen, gab sie sich zu bedenken.
Mit Malone war die Angst in ihr Leben getreten.
Sie beschloss, dass sie jetzt keinen Kaffee brauchte und auch keine Zeit zum Nachdenken.
Sie musste so schnell wie möglich zurück ins Château.
Brent Malone war dort – allein mit ihrem Großvater.
Sie hätte nicht weggehen dürfen!
11
Ann starrte seufzend auf den Stapel Manuskripte auf ihrem Schreibtisch. Schließlich legte sie den Kopf darauf. Sie
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