Reich der Schatten
Frau. Er sah ihr Lächeln, als sie sich zu ihnen gesellte, die Weinflasche ergriff, die Führung übernahm. Er konnte sogar die Straßennahmen entziffern, als sie ihre Begleiter durch die Stadt lotste.
Er sah das alte Haus, sah, wie sie alles vorbereitete, sah ihre Verführungskünste, sah, wie erheitert sie war, und gleichzeitig …
… sehr hungrig.
Er sah, wie sie mit ihrer Beute spielte.
Und dann sah er, wie sie tötete: einmal, zweimal, dreimal.
Die Bilder verblassten, während sich etwas anderes in den Vordergrund drängte. Ein Ruf, eine Warnung, Worte, die sich ihren Weg in sein Denken bahnten.
Sie haben sich an sie herangemacht.
An wen?
Ann. Ann DeVant. Aber ich bleibe ihnen auf der Spur. Ich verfolge sie.
13
Katia servierte Jacques gerade das Abendessen in der Bibliothek, als Tara zurückkam. Die Haushälterin legte rasch ein weiteres Gedeck für sie auf.
Tara wartete, bis Katia fertig war, und musterte währenddessen wortlos ihren Großvater. Plötzlich fiel ihr ein, wie spät es war. Sie verzog das Gesicht. »Wo ist Ann? Sie müsste doch schon längst daheim sein.«
Jacques schüttelte den Kopf. »Sie hat angerufen und gemeint, ich solle mir keine Sorgen machen. Sie hat sich heute eine lange Mittagspause gegönnt und musste noch ein paar Sachen im Büro erledigen.«
Katia lächelte Tara beruhigend an. » Mais oui, Ann kommt sicher bald. Sie meinte, wir sollten nicht auf sie warten. Euer Großvater braucht etwas zu essen. Er muss stark bleiben.« Sie legte die Hand auf Taras Schulter. »Mach dir keine Sorgen. Roland und ich haben alle Türen abgesperrt. Uns kann nichts passieren.«
Als Katia gegangen war, setzte sich Tara zu ihrem Großvater an den Schreibtisch.
Sie wollte gerade etwas sagen, als Katia klopfte und eine Flasche Weißwein hereinbrachte, passend zum Fisch, den es heute Abend gab.
Sobald sie allein waren, konnte Tara nicht mehr an sich halten. »Ich glaube noch immer, dass diese ganze Geschichte völlig verrückt ist.«
»Verrückt vielleicht, aber trotzdem wahr«, erklärte Jacques mit fester Stimme. Er kostete den Fisch, er schien ihm zu munden. »Katia ist eine hervorragende Köchin.«
»Jacques, entschuldige mal, aber jetzt muss ich dich wohl daran erinnern: In Paris treibt sich angeblich ein Vampir herum.«
»Nein«, erwiderte er nur und nippte am Wein.
»Es treibt sich also kein Vampir herum?«
»Nein, nein, es treiben sich mehrere Vampire herum«, erwiderte er.
»Ich dachte, Louisa de Montcrasset ist der Vampir.«
»Das ist sie. Aber wir sind uns ziemlich sicher, dass es kein Zufall war, dass sie nach all den Jahren ausgegraben wurde.«
»Wir – das heißt wohl du und Brent Malone?«
»Richtig. Aber es gibt natürlich auch noch andere auf der Seite des Guten.«
»Natürlich«, murmelte sie und betrachtete ihn nachdenklich. »Natürlich stehen seine Freunde auf der Seite des Guten.«
Jacques nickte ernst. Er wirkte erleichtert, dass sie offenbar endlich einsah, worum es ging.
Sie schüttelte den Kopf. »Hier passieren tatsächlich seltsame Dinge, und dein Freund Brent hat etwas an sich, das … das Vertrauen erweckt. Aber so ganz verstehe ich deine Verbindung zu ihm noch immer nicht. Du hast ihn nicht getroffen, bevor du anfingst, dir über die Ausgrabung Sorgen zu machen?«
»Nein.«
»Aber du kennst ihn. Ich meine – du kanntest ihn von früher.«
»Ja.«
Musste man ihm denn wirklich alles aus der Nase ziehen? »Na gut. Wann habt ihr euch kennengelernt?«
»Hat er dir das nicht gesagt?«
»Nein.«
Jacques runzelte die Stirn. »Er ist dir doch nachgegangen, weil er versuchen wollte, dir alles zu erklären.«
»Er … er musste weg. Ganz plötzlich.«
»Ach so.«
»Also?«
»Wir haben uns vor etlichen Jahren hier in Frankreich getroffen.«
»Aber … aber vor etlichen Jahren hast du doch in Amerika gelebt.«
Jacques zuckte die Schultern und blickte auf seinen Teller. »Frankreich war meine Heimat. Ich bin immer gependelt«, meinte er ausweichend.
»Was heißt das genau: vor etlichen Jahren?«
»Womöglich wirkt er etwas jünger, als er tatsächlich ist.«
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«
Jacques fuchtelte mit der Gabel in der Luft herum. »Das spielt jetzt keine Rolle. Das Wesentliche ist, dass ich ihn von früher kenne, und auch, dass ich schon früher wusste, dass es Vampire gibt. Aber das letzte Mal, als es zu richtigen Problemen kam … zu Problemen, in die ich verwickelt war, ist lange her. Es war während des Krieges. Damals …
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