Reich der Schatten
damals wussten viele in Europa Bescheid, und die Allianz hatte zahlreiche Mitglieder. Der Krieg hörte auf, das Leben ging weiter. Es kam zu anderen Kriegen, es gab neue Waffen, und die Welt wurde so kompliziert und so technisiert, dass die Menschen solche Dinge vergaßen. Selbst ich hatte sie vergessen. Aber diejenigen, die ich kannte … die ich gut kannte, sind jetzt alle gestorben. Es gibt jedoch eine neue Generation, die Zeiten ändern sich, die Dinge ändern sich, die Menschen ändern sich. Selbst die Untoten ändern sich«, murmelte er nachdenklich.
»Aber Jacques …«
»Ich muss etwas tun. Sie haben sich irgendwo verkrochen, und natürlich besitzen sie ausgesprochen scharfe Sinne. In dieser Gegend gibt es viele Ruinen, viele verlassene Häuser, die allmählich verfallen. Die Allianz wusste immer Bescheid. Früher gab es auf der dunklen Seite niemanden, dem man wirklich vertrauen konnte. Aber wie ich schon sagte: Die Welt hat sich verändert, und irgendwie hat sich das Credo durchgesetzt, dass das Leben – alles Leben – heilig ist, selbst in der heutigen Welt mit all ihren technischen Neuerungen. Natürlich gibt es Fanatiker und Verrückte unter den Menschen, die oft genug auch richtig böse sind und denen dieses Credo nichts gilt. Du hast recht mit dem, was du neulich gesagt hast: Es gibt Menschen, die schlimmer sind als jeder vorstellbare Dämon. Aber das heißt noch lange nicht, dass es nicht auch dunkle Kräfte gibt, die ebenfalls äußerst grausam und brutal sind.«
»Jacques, ich verstehe wieder mal gar nichts.«
»Das musst du auch gar nicht. Es reicht, wenn du mir glaubst, dass wir in Gefahr schweben und dass kein Fremder dieses Haus betreten darf. Katia weiß instinktiv, dass es das Böse gibt. Sie stellt keine Fragen und achtet darauf, dass unser Haus gesichert ist. Wir werden jedenfalls weiter Nachforschungen anstellen und gut aufpassen.«
»Jacques, vergiss nicht: Die Polizei verdächtigt dich.«
»Sie können mich gerne verhören. Ich bin unschuldig.« Er runzelte die Stirn. »Aber sie sollten Dubois festnehmen. Ich möchte wetten, dass er eine gewisse Schuld an all dem trägt. Nein, er ist kein Mörder, aber er arbeitet für die Vampire. Er hat sich von ihnen bestechen lassen und ihnen seine Dienste angeboten, denn er glaubt, dass sie ihn reich belohnen werden. Der Mann ist ein Idiot, der einzige Lohn, den er erhalten wird, ist der Tod.«
»Jacques …«
Tara hielt inne, da es geklopft hatte. Ann kam herein. Obwohl sie sehr blass und erschöpft aussah, lächelte sie und schien ganz vergnügt. »Ich wollte euch nur sagen, dass ich wieder da bin. Aber ich bin sehr müde. Die Arbeit schafft mich. Trotzdem hatte ich einen fantastischen Tag. Na ja –jetzt brauche ich dringend etwas Schlaf.«
»Willst du denn nichts essen?«, fragte Tara.
Ann sah sie zerstreut an. »Nein, nein, ich hatte ein ziemlich ausgiebiges Mittagessen. Ich bin überhaupt nicht hungrig, nur sehr müde. Was für ein Tag! Morgen erzähle ich euch alles.« Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Warst du heute mit Daniel unterwegs, Tara? Du hast Heu im Haar.«
Tara lief rot an. Unwillkürlich griff sie sich an den Kopf. »Ich – äh – ja, ich war im Stall.«
Ann war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um weiter nachzufragen. Sie nickte nur. »Da – jetzt hast du’s gefunden. Das Heu ist weg. Na schön, ich gehe jetzt ins Bett. Ich hab euch lieb!«
Sie warf den beiden eine Kusshand zu und ging.
Sie hörten ein Knurren.
»Eleanora! Dummer Hund, ich bin’s doch, Ann!«, hörten sie Ann sagen.
Tara wandte sich stirnrunzelnd an ihren Großvater. Jacques hatte die Gabel weggelegt. Seine Hand, die auf dem Tisch ruhte, zitterte.
»Großpapa?«, fragte Tara besorgt.
»Alles in Ordnung. Aber ich denke, ich sollte jetzt auch ins Bett.«
»Ja, natürlich.«
»Kannst du bitte Roland Bescheid sagen?«
»Selbstverständlich.«
Tara stieß in der Küche auf Katia, die sofort nach Roland rief. Er eilte herbei und versicherte Tara, dass Jacques bestimmt nur etwas erschöpft sei. Es wäre ein langer Tag für ihn gewesen.
Sie versprach ihrem Großvater, noch kurz bei ihm vorbeizuschauen, um ihm Gute Nacht zu sagen.
Dann half sie Katia beim Aufräumen, und als sie schließlich nach oben ging, fiel ihr ein, dass sie auch noch einmal nach Ann sehen könnte.
Sie klopfte an der Tür ihrer Cousine, doch offenbar schlief Ann schon, denn sie reagierte nicht. Leise öffnete Tara die Tür – das Zimmer war dunkel,
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