Reich durch Hartz IV
zu Leistung führen?
Natürlich werden Teilnehmer, die dauerhaft das Mitmachen verweigern, ausgeschult und abgemeldet, aber das geschieht selten, allein aus eigenem Interesse der Bildungsfirma heraus, da jeder Teilnehmer Einnahmen bedeutet. Das hier ist ja kein ehrenamtlich betriebenes Singspiel, sondern ein Kurs, der knallhart kalkuliert ist, und der mit vielen anderen Angeboten um junge Leute ohne Schulabschluss und Berufsausbildung konkurriert. Davon hängt nicht nur die Zukunft perspektivloser junger Menschen ab, sondern auch die Arbeitsplätze derer, die sie betreuen. Vergibt die Arbeitsagentur den Auftrag an JobAct, werden damit die Stellen für Helfer, Pädagogen, Regisseure, Tontechniker und Beleuchter gesichert. Und natürlich hat JobAct auch einen Geschäftsführer, Mitarbeiter in der Verwaltung, es muss auch die Miete für Geschäftsräume bezahlt werden. »Was kostet so ein Kursus?«, will ich von der JobAct-Leiterin wissen. »Das ganze Projekt hat ein Volumen von 130 000 Euro. Da hängt im Hintergrund eine riesige Maschinerie dran, die auch davon lebt«, gesteht sie ein. Würde die betreuende Sozialpädagogin also die Teilnehmer wieder abmelden und zurück ins Jobcenter schicken, würden sich auch die Einnahmen der JobAct-Firma verringern. Und die Fallmanagerin im Jobcenter müsste einräumen, dass sie sich in ihren »Kunden« leider getäuscht habe.
Das Ganze wäre zudem verbunden mit Schreibkram und höherem Verwaltungsaufwand. Vielleicht wäre sogar mit einem Einspruch des Teilnehmers zu rechnen, der eine Begründung liefert, warum er drei Wochen nicht da war oder immer zu spät kam. Das tut man sich nur in absoluten Härtefällen an, erzählt ein PAP im Jobcenter, der nicht genannt werden möchte. Meist ließe man es einfach laufen. Sein Schreibtisch quelle auch so schon über. So etwas koste nur Zeit und Nerven.
Bundesweit bietet JobAct 25 solcher Selbstfindungskurse mit Regisseuren, Sozialpädagogen und Bühnenarbeitern an. Die Jobcenter legen dafür also sage und schreibe 3,25 Millionen Euro auf den Tisch. Teure Selbstfindung auf Staatskosten, und was dies wirklich bringt, weiß niemand so genau, denn keiner prüft ihren Erfolg nach.
Die Hartz-Maschine auf Touren und wer sie antreibt
In der größten Behörde: die Agentur für Arbeit in Nürnberg
Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg ist mit fast 120 000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber des Bundes, die größte Behörde in Deutschland und in Europa. Franz Kafka hätte hier seine Freude, denn der Ort bietet Anregung ohne Ende für Absurdes und Komisches: Durch lange, schier endlose Gänge schieben immer mal wieder Leute Karren mit dicken Stapeln Papier und Akten. Ab zwölf Uhr begrüßt man sich im Fahrstuhl mit »Mahlzeit!« Allein für Trainingskurse gibt die Bundesagentur 6,6 Milliarden Euro aus. Selbst manche ihrer Mitarbeiter halten viele Maßnahmen für reine Geldverschwendung. Aus der öffentlichen Wohlfahrt ist längst ein Riesengeschäft geworden. Dabei wird von hier aus, der Zentrale, nicht ein einziger Arbeitsplatz vermittelt.
In den Arbeitsagenturen und Jobcentern arbeiten bundesweit gerade mal 25 300 Vermittler, das heißt, nur rund zehn Prozent der Gesamtbelegschaft haben direkten Kontakt nach »draußen« zu den »Kunden«, wie im Behördenjargon die Arbeitslosen heißen. Die übrigen 100 000 Mitarbeiter berechnen Leistungsansprüche, widmen sich der Erforschung der Gesetzmäßigkeiten des Arbeitsmarkts oder verwalten die eigene Behörde.
In einem öffentlichen Chat im Internet, in dem die uneffektive Vermittlungsarbeit der Bundesagentur für Arbeit kritisiert wurde, meldete sich ein »Ehemaliger«: »Ich habe auch mal vier Jahre für die Bundesagentur für Arbeit – heute die Arbeitsagentur – gearbeitet. Das Ziel unseres damaligen Direktors war es, auf über 400 Mitarbeiter zu kommen, weil er damit dann automatisch einen besseren Titel und damit mehr Vergütung bekam. Er hat es locker geschafft.«
Reformen scheinen fast unmöglich zu sein, denn an der Arbeitslosigkeit lässt sich verdienen. In Deutschland gibt es etwa 40 000 Bildungsträger. Sie alle profitieren von den staatlichen Ausgaben für Bildungsmaßnahmen und bringen Arbeitsuchende möglicherweise wieder in den Ersten Arbeitsmarkt, oft aber auch nicht. Und natürlich verdienen sowohl gewerkschaftliche als auch arbeitgebereigene Fortbildungs- und Umschulungseinrichtungen an den »Maßnahmen«, sie bilden eine Art Sozialkartell.
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