Reich durch Hartz IV
Geldverschwendung: 80 Prozent der Maßnahmen, die die Bundesagentur finanziert, seien Blödsinn, ließ der Direktor der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg, Jens Regg, verlauten. Sieht das Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, auch so? »Wir versuchen vieles, um Menschen wieder näher an Ausbildung und Beschäftigung zu bringen. Wir sind sicher alle eher suchend unterwegs als wissend und sagen eben nicht: Wir wissen genau, wie Frau Müller und Herr Meier in Arbeit kommen, und haben auch das richtige Instrument dafür zur Verfügung. Wir wissen eben nicht genau, wie das funktioniert, sondern wir probieren sehr vieles – in der Hoffnung, dass einiges davon gelingt, aber es läuft nicht so, dass wir wie in der Physik sagen können: Man nimmt das und das, und dann tritt auch der Erfolg ein.«
Aber selbst wenn man der Bundesagentur für Arbeit zugestehen muss, manchmal »suchend« zu sein, so könnte doch vielleicht auch mal etwas »gefunden« werden? Denn wenn schon beim Dauerbrenner »Bewerbungstraining« sogar Dozenten erklären, ihre Arbeit sei völlig sinnlos, warum wird es dann immer noch angeboten? Viele Kursteilnehmer haben schon, wie wir gesehen haben, das zehnte oder elfte Bewerbungstraining hinter sich und gähnen nur noch müde, wenn sie zum x-ten Mal einen Lebenslauf verfassen sollen. Bisher haben sie allein dadurch jedenfalls noch keine Arbeitsstelle bekommen. Das ist auch kein Wunder, wenn der eigentliche Grund der Erwerbslosigkeit der fehlende Schulabschluss ist, die Unlust, Büros sauberzumachen und in der Küche zu arbeiten oder Arbeitlose, was die Arbeitswelt angeht, unrealistischen Mädchenblütenträumen nachhängen.
Hartz-IV-Anwalt – zum Gelddrucken berechtigt?
Immer wieder ist in der Zeitung die Rede von »Prozesslawinen« und dass Sozialgerichte von Hartz-IV-Klagen förmlich überflutet würden. Doch ein ganzer Berufsstand lebt davon: Martin Reucher in Bochum zum Beispiel geht die Arbeit nicht aus. Er ist Anwalt für Sozialrecht. Viele seiner Kollegen verteilen Handzettel, hängen im Umkreis von Jobcentern Visitenkarten an Bushaltestellen und in Imbissbuden auf oder werben im Internet. Reucher hat das nicht nötig. Auch ohne Werbung hat er genug Mandanten. Es hat sich bei Anwälten herumgesprochen, dass sich mit Hartz IV und seinen Empfängern gutes Geld verdienen lässt. Dabei ist es egal, ob sie einen Prozess vor dem Sozialgericht gewinnen oder verlieren – ihr Honorar kommt immer. Zuverlässig. Vom Staat. Das Jobcenter zahlt. Prozesskostenhilfe heißt das Zauberwort.
Die kann ein Arbeitsloser immer dann in Anspruch nehmen, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt – etwa wenn er den Bescheid vom Jobcenter nicht für angemessen hält, er also meint, für Konfirmation, Taufe oder Hochzeit müsse ihm zusätzliches Geld ausgezahlt werden, der Wohnraum sei zu klein sei oder das Jobcenter unterstütze und fördere ihn nicht ausreichend.
Über einen Fall berichtete im Dezember 2010 die Rheinische Post . Ein Vater hatte geklagt, dessen Kind mit der Mutter in die USA gezogen war. Schließlich habe er staatlichen Anspruch auf das Umgangsrecht mit seinem Kind, machte der Mann geltend. Das Landessozialgericht sah das genauso. Das Jobcenter muss also dem Vater 900 Euro Reisekosten und Unterkunft pro Quartal erstatten. Das seien auch die Kosten, die ein Erwerbstätiger für die Auslandsreise ausgeben würde, befanden die Richter. Doch meist geht es nicht um USA-Reisen, sondern um Wohnraum, Heizkosten oder Untätigkeit des Jobmanagers. Das liegt oft an schwammigen, also auslegungsbedürftigen Formulierungen im Gesetz und Bestimmungen, bei denen auch Profis nicht mehr durchblicken. »Es gibt im Bereich des Sozialen Vorschriften und Paragraphenwürmer, die kann man auch als Jurist nicht mehr verstehen. Ich verstehe sie auch nicht«, sagte Monika Paulat im Gespräch mit Walter Wüllenweber. Monika Paulat muss es wissen, sie ist Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg und zudem Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstags. Und Winfried Boecken sekundiert: »Den Gesamtüberblick über das Gebiet des Sozialrechts, den kann man nicht mehr haben.« Er wiederum ist Inhaber des Lehrstuhls für Sozialrecht an der Universität Konstanz.
Wenn es im Gesetz zum Beispiel heißt: Langzeitarbeitslose haben Anspruch auf eine »angemessene« Unterkunft, lässt sich trefflich streiten darüber, was »angemessen« bedeutet. Das geht daraus nämlich nicht hervor. Auch Entscheidungen
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