Reich durch Hartz IV
Rente
Es gehört eigentlich nur ein bisschen Menschenverstand und Einfühlungsvermögen dazu, Arbeitslose nicht in die zehnte Maßnahme zu stopfen, die sie gar nicht wollen, und deren Nutzen gleich null ist. Dieses Kapitel zeigt das.
Schon im Hof der Berliner Bildungsfirma Goldnetz stehen und sitzen ein paar Teilnehmer während der Pause rauchend herum und erzählen kichernd, was für einen Blödsinn sie hier machten. »Wir lernen telefonieren«, sagt einer und verzieht das Gesicht. »Und warum machen Sie das mit? Sie könnten doch Ihrem Arbeitsberater sagen, in welchem Bereich Sie sich qualifizieren wollen.«
»Nein«, wehrt der Mann ab. »Wenn ich mich wehre, heißt es, ich würde die Kooperation verweigern, und dann bekomm’ ich eine Kürzung aufgebrummt.« Und sofort fügt er noch hinzu. »Nennen Sie bitte nicht meinen Namen! Ich komme halt her und sitze die Zeit ab.«
Die Pause ist um. Jetzt ist Unterricht, Bewerbungs- und Telefontraining. Die Szenerie erinnert an einen Kindergarten: Ein großer Raum. 25 Teilnehmer, die im Quadrat sitzen. In der Mitte haben an zwei Tischen, die einander gegenüberstehen, zwei erwachsene Männer von etwa Mitte 40 Platz genommen. Beide haben sich den Hörer eines Spielzeugtelefons hinters Ohr geklemmt. Zwischen ihnen steht eine Pappmachéwand mit Täfelchen auf beiden Seiten, auf denen steht: Begrüßungsformel, Anliegen, Abschiedsformel. Und dann geht es los. Sie telefonieren, mal mit dem Fundbüro, mit dem Tierheim oder der Auskunft. Die Teilnehmer sollen lernen, guten Tag zu sagen, ihr Anliegen zu benennen und am Ende des Telefonats dem Angerufenen einen schönen Tag zu wünschen. Während einer von ihnen vorgibt, er habe in der S-Bahn seine Jacke liegenlassen, und der andere nach einer Pause von 20 Sekunden mitteilt, es sei nichts abgegeben worden, blättern die anderen Kursteilnehmer gelangweilt in der Zeitung, kauen ihr Brötchen, unterhalten sich leise und heben noch nicht einmal den Kopf, als die Kursleiterin am Ende des Telefonats begeistert klatscht: »Ich finde es klasse, wie Sie das gemacht haben. Dass Sie Ihrem Gesprächspartner einen schönen Tag gewünscht, sich für das Telefonat bedankt und einen konstruktiven Schluss gefunden haben.«
Wie sich herausstellt, hat sich nicht ein einziger der 20 Teilnehmer diesen Kurs als Möglichkeit zur Weiterbildung frei herausgesucht. Schon gar nicht beabsichtigen sie, sich in einem Callcenter zu bewerben. Eine Frau Mitte 40 frage ich: »Wollen Sie nächste Woche im Callcenter anfangen?«
»Bestimmt nicht!«
»Wollen Sie denn ins Büro?«
»Nein! Ich könnte mir das überhaupt nicht vorstellen, den ganzen Tag tippen und telefonieren. Das ist nicht mein Ding. Ich muss etwas Praktisches tun.«
Ein Mann Ende 20, stämmig, untersetzt, funkelt mich wütend an: »Ich komme vom Bau. Es käme mir nie in den Sinn, etwas im Büro zu machen. Ich krieg’ schon einen dicken Hals, wenn ich irgendwo anrufen oder rumtelefonieren muss.« Und auch hier sind wieder etliche »Wiederholungstäter« zu finden. Ein Mann Ende 30: »Ich habe schon fünf Kurse gemacht: Bewerbungstraining, Office Word, na und so weiter.«
»Und hat das schon zu irgendeiner Arbeit geführt?«
»Nein, eigentlich nicht!«
Mike B. sieht ein bisschen wild aus, tätowiert, mit Goldringen im Ohr. In einem Büro kann man ihn sich schwer vorstellen: »Der wievielte Kurs ist das für Sie?«
»Oh, da muss ich mal überlegen. Bei Goldnetz war ich ja schon mal vor vier Jahren, dazwischen war ich bei Winkler und Partner, davor bei einigen anderen Trägern. Das ist jetzt bestimmt schon der vierte oder fünfte Träger, bei dem ich etwas mache.«
Warum bisher alles nicht gefruchtet hat, wird auf Nachfrage schnell klar: Mike B. träumt von der Rente: »Ich habe früher Gleisbau gelernt.«
»Und gibt es keinen Job für Sie im Gleisbau?«
»Na ja, bei der Bahn vielleicht.«
»Haben Sie’s mal versucht?«
»Nee, noch gar nicht. Ich werd’ ja auch nicht jünger. Darum geht’s ja auch.«
»Wie alt sind Sie?«
»45.«
»Aber das ist doch kein Alter. 20 Jahre könnten Sie noch arbeiten.«
»Nee, um Gottes Willen!«
»Was würden Sie denn gerne arbeiten oder in welchen Beruf würden Sie gerne umschulen?«
»Rente!«
»Sie wollen mit 45 in Rente gehen?«
»Klar, warum nicht.«
»Na, Sie sind lustig. Wer soll das denn bezahlen?«
»Na, die Jugend heutzutage!«
Unklar bleibt, warum die Fallmanagerin von Mike B. bislang nicht herausgefunden hat, dass auch das zehnte
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