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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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Bewerbungstraining nicht fruchten wird bei einem Kandidaten, der mit Mitte 40 vom Ruhestand träumt. Sie könnte ihn verpflichten, sich bei der Deutschen Bahn zu bewerben, ihn jeden Tag einbestellen und ihm damit den Zahn ziehen, es sich auf Kosten des Steuerzahlers bequem machen zu können. Sie könnte ihm auch einen Teil der Unterstützung streichen. All das passiert aber nicht – und so träumt Mike B. weiter offen und unverhohlen vom Nichts-mehr-Tun.
    Die Kursleiterin erstaunen die Antworten ihrer Schüler auf meine Fragen nicht besonders. »Das ist mein täglich Brot. Ich mache oft Bewerbungstrainings, in denen Leute sitzen, die schon zehn oder zwölf Bewerbungstrainings hinter sich haben. Die sind dann richtig scharf darauf, von mir auch noch das elfte oder zwölfte Coaching zu kriegen. Also es ist durchaus üblich, dass die Leute immer wieder dasselbe machen, und sie werden ja auch nicht immer gefragt, was sie wirklich Sinnvolles tun wollen. Das Arbeitsamt hat beschlossen, dass sie in dieser Maßnahme sind, also muss ich sie mitziehen.« Das Mitziehen kostet aber. Für 20 Teilnehmer, die sechs Monate lang telefonieren und bewerben üben, werden 60 000 Euro in die Kasse des Bildungsträgers gespült. Von daher zählen Bewerbungstrainings immer noch zu den beliebtesten Maßnahmen im Repertoire der Bildungsträger.
»So eine Chance bekomme ich nie wieder« oder Theaterspielen auf Kosten des Steuerzahlers
    Konstanz. Eine alte Fabrikhalle. Auf der Bühne junge Leute. Scheinwerfer werden geschwenkt, der Regisseur mit einem Piratentüchlein auf dem Kopf fuchtelt mit den Händen hin und her, dirigiert die Schauspieler von links nach rechts, ermahnt, tobt, wenn es nicht so klappt, wie er sich das vorstellt. Leicht ist es offenbar nicht für ihn, denn manche dieser jungen Leute sind noch nie in ihrem Leben einer regelmäßigen Beschäftigung nachgegangen. Jetzt hat sie das Jobcenter in einen Theaterkurs geschickt: Sie sollen im Projekt JobAct gemeinsam ein Stück entwickeln, darin mitspielen und sich unter Anleitung des Regisseurs und einer Sozialpädagogin in zehn Monaten darüber klar werden, was sie eigentlich wollen.
    Ich befrage eine junge Frau von Anfang 20 nach ihren Motiven: »Warum bist du hier? Was hat das Jobcenter denn gesagt, was das bringen soll?«
    »Dass das gut für mich sei«, antwortet sie. »Dass ich nicht zu Hause bleiben, dass ich einfach relaxen, nicht nur zu Hause putzen solle.«
    »Hast du denn einen Beruf gelernt?«
    »Nein, gar nichts. Ich habe gar nichts gelernt.«
    Dann spreche ich mit einem jungen Mann, ebenfalls Anfang 20. Er hat keinen Berufsabschluss. »Ich seh’ das als eine Chance hier, mich selbst zu verwirklichen. Ich hab’ gedacht: Komm, das ist mal was Neues. Das probier’ ich aus.« Eine andere 20-Jährige, gelernte Bürokauffrau, die nur bereit ist, im Wohnort ihrer Eltern einen Job anzunehmen und damit bisher gescheitert ist, kommt dazu: »Ich hab’ mir gedacht: Gut, warum nicht? Das kriegt man nur einmal im Leben geboten, die Chance, in einem Theaterstück mitspielen zu können. Und das ist auf jeden Fall eine Erfahrung wert.«
    Eine weitere junge Frau hat zwar eine Ausbildung gemacht, aber »irgendwie« gefällt ihr der Beruf nun doch nicht. Was anderes muss her. Aber was? Offenbar hat ihr die Fallmanagerin nicht vermitteln können, dass der Steuerzahler nicht für die Selbstverwirklichungsträume junger Leute zuständig ist. Mir verrät sie: »Ich habe eine Ausbildung als Fachkraft im Gaststättengewerbe gemacht.«
    »Und warum hast du das nicht weiterverfolgt?«
    »Tja, das war einfach nichts mehr für mich. Ich möchte mir was anderes suchen.«
    Auf Nachfrage wird deutlich: zu viel Stress, zu viele Überstunden, zu oft Wochenend- und Schichtdienst, ein Chef, der immer nur Druck gemacht habe, Kollegen, mit denen man einfach nicht habe klarkommen können. Im Jobcenter hat der jungen Frau niemand erklärt, dass Millionen von Arbeitnehmern solche Bedingungen auf sich nehmen: Schichtdienst, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, und die nicht erwarten, auf dem Silbertablett eine Schon-dich-Alternative serviert zu bekommen. Aber bei ihr hat kein PAP (Persönlicher Ansprechpartner in der Jobagentur) oder Jobmanager darauf bestanden, dass sie ihren Teil zu einer Umschulung oder zweiten Ausbildung beitragen muss, indem sie etwa halbtags kellnert und in der ihr verbleibenden Zeit nach beruflichen Alternativen sucht. Stattdessen also: Theaterspielen – ein ganzes Jahr lang,

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